Go to content Go to navigation Go to search

The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

P. Moss - Meditation und Psalm, Voyage, Cinq tableaux de Caspar David Friedrich
Poln. Nat.-Radio-Sinfonieorch. Katowice, Michał Klauza, div. Sol.

(2011)
DUX / note 1

• • • • •

Piotr Moss - Meditation und Psalm, Voyage, Cinq tableaux de Caspar David Friedrich

Von Harfen, die mit dem Schlagzeug streiten und sinfonischen Kommentaren zu den Gemälden eines großen Romantikers

von Rainer Aschemeier  •  1. August 2011
Best.-Nr.: DUX 0820 / EAN: 5902547008202

So richtig wusste ich nicht, was mich erwartet, als ich vor einigen Wochen die neueste CD des für seine hochwertigen Produktionen bekannten polnischen DUX-Labels auspackte. Zwar war mir der Komponist Piotr Moss vom Namen her schon einmal begegnet, aber es stellte sich bald heraus, dass es gar nicht so einfach sein würde, tiefer gehende biographische Informationen zu finden, als das bisschen Geschreibsel, das einem auf Wikipedia begegnet.
Immerhin war eines auf den ersten Blick augenfällig: Piotr Moss, 1949 geboren, hat bei Witold Lutosławski studiert (den ich persönlich für einen der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts halte) und war offenbar auch einer der letzten Schüler Nadia Boulangers, die bekanntlich von Aaron Copland über Quincy Jones bis hin zu Philip Glass eine extrem hohe Anzahl Studenten um sich versammeln konnte, die später zu den einflussreichsten Musikgenies der Gegenwart gehören sollten.

Nun, ganz so weit, wie etwa Philip Glass hat es Piotr Moss nicht gebracht, was aber auch ganz einfach daher rühren könnte, dass Moss‘ Musik weniger für die breite Masse gemacht ist. Gleichwohl hat auch dieser Komponist ein Händchen für das gekonnte „Verpacken“ seiner Stücke, sodass man schon beim Lesen der Titel auf dieser Novität von DUX neugierig wird: Da gibt es etwa „Cinq tableaux de Caspar David Friedrich“, ein Stück, dass von der Grundidee ein bisschen so gestrickt ist, wie einst Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“. Moss hat in diesem Stück (vom Prinzip her) sinfonische Dichtungen über fünf verschiedene, weltbekannte Gemälde des Romantikers Caspar David Friedrich versammelt, die sowohl einzeln als auch im Zusammenhang aufgeführt werden können.

Das Bild "Baum mit Krähen" ist eines von fünf Gemälden Caspar David Friedrichs, die Piotr Moss in seiner Komposition "Cinq tableaux..." musikalisch in Szene gesetzt hat. Bildquelle: wikimedia commons

Gekonnt und für heutige Maßstäbe mit sehr mutigem Bekenntnis zu programmatischen Inhalten setzt Moss die Bilder Friedrichs musikalisch eindrucksvoll in Szene. Gäbe es mehr „Neue Musik“ in dieser Art, wären sicher mehr Menschen bereit, sich neuen Musikströmungen zu widmen, denn sie hätten einen außermusikalischen Anhaltspunkt, der ihnen das Verständnis für die Musik erleichtern würde.

Und diese Musik gefällt mir wirklich sehr sehr gut. Häufig fühlte ich mich an die Musik Henri Dutilleuxs erinnert, manchmal aber auch an die besseren Stücke von John Corigliano oder Thomas Ades. Da wundert man sich schon etwas, warum dieser Piotr Moss nicht bekannter ist und zumindest gleichrangig mit den zuvor Genannten gehandelt wird. Stattdessen hat es der Pole nicht einmal zu einem Eintrag in die 2006 neu erschienene MGG („Musik in Geschichte und Gegenwart“) geschafft — und dies muss man nach den Höreindrücken von dieser CD eindeutig den Verantwortlichen der MGG ankreiden, nicht dem Komponisten, der sich musikalisch auf hohem internationalen Niveau bewegt.

Weitere Stücke auf der vorliegenden CD sind ein Konzert für zwei Harfen und Orchester mit dem Titel „Voyage“ sowie die Komposition „Meditation und Psalm“ für Chor und Orchester. „Meditation…“ finde ich persönlich weniger spannend, und es ist mir rätselhaft, warum ausgerechnet dieses Stück von der Plattenfirma zum „Hauptwerk“ beziehungsweise zum Starter dieser ansonsten ganz wundervollen CD auserkoren wurde.
Das Konzert „Voyage“ beinhaltet an zweiter Stelle rund 25 Minuten äußerst spannender Musik, die nicht nur durch die zum Teil ungewöhnlichen Klangeffekte der beiden solistisch behandelten Harfen beeindruckt, sondern auch durch scheinbar ein nicht enden wollendes Arsenal an Perkussionsinstrumenten, die als Counterpart zu den Solistinnen auftreten und diesen gewissermaßen immer wieder „Steine in den Weg“ legen, die der Solopart „zu umschiffen“ hat. Mich hat das so fasziniert, dass ich über die komplette Spielzeit des Stücks geradezu wie gebannt im Sessel saß. Auch dieses Konzert ist absolute Spitzenklasse und sollte, ja, müsste viel bekannter sein und häufiger aufgeführt werden.

Das die hier dargebotenen Stücke immerhin nicht noch häufiger eingespielt werden müssen, dafür haben das Polnische National-Rundfunksinfonieorchester aus Katowice, ihr Dirigent Michał Klauza und die Solisten sowie der polnische Radiochor aus Krakau gesorgt. Sie bieten schlicht unüberbietbar großartige Interpretationen dieser wunderbaren Musik, die vom polnischen Radio dazu noch hervorragend mitgeschnitten wurde. Kürzlich erst besprachen wir an dieser Stelle eine CD mit Musik von Harald Genzmer, bei der ich verhalten die Künste deutscher Radiotonmeister (in dem Fall des Saarländischen Rundfunks) gelobt hatte (vgl. http://www.incoda.de/listener/reviews/213/harald-genzmer-orchesterwerke-vol-iv). Im Vergleich zu dieser Moss-CD jedoch, muss man sagen, dass die polnischen Tonmeister offenbar himmelweit die Nase vorn haben. Liest man dann noch im Booklet, dass es sich allesamt um Live-Aufnahmen handelt (was man beim Hören hin und wieder auch anhand von Hustern im Publikum bemerkt), bleibt einem glatt der Mund offen stehen. Bis in den tiefsten Basskeller und in die luftigsten Höhen ist das hier eine rundum Hifi-taugliche Aufnahme, die klangechnisch definitiv zum oberen Drittel dessen gehört, was ich in diesem Jahr bislang so auf den digitalen „Plattenteller“ bekam. Das ist wirklich sehr beeindruckend!

Fazit: Dies ist eine CD, die man eigentlich jedem Liebhaber gemäßigter „Neuer Musik“ ärztlich verschreiben müsste, denn leider werden wohl die wenigsten von selbst auf die Idee kommen, Selbstmedikation mit Moss-Musik zu betreiben.
Aber vielleicht konnten wir mit unserer Rezension an dieser Stelle hier vielleicht etwas Motivationsarbeit leisten. Die zweite Jahreshälfte hat zwar gerade erst begonnen, doch hierbei traue ich mich schon jetzt zu sagen, dass diese CD ein heißer Kandidat für die Neuveröffentlichung des zweiten Halbjahres sein könnte. Warten wir’s mal ab. Vorerst: Höchstwertung!

((Das Hörexempar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „note 1“ zur Verfügung gestellt.))

Stöbern

Verwandte / ähnliche Artikel:

Archiv

Alle Reviews können im Archiv nachgeschlagen werden. Dort ist auch eine gezielte Suche möglich.