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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Glosas
More Hispano - V. Parilla

(2011)
carpe diem

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More Hispano & Vicente Parilla - "Glosas"

Mut zur Stille

von Rainer Aschemeier  •  15. Juli 2011
Best.-Nr.: CD-16285 / EAN: 4032324162856

Eine wunderschöne CD erscheint in diesen Tagen beim Label „carpe diem“, das sich ganz besonderen akustischen Entdeckungsreisen im Bereich Alter Musik verschrieben hat. Viele Veröffentlichungen aus dem „carpe diem“-Katalog tragen ein Motto, das den Inhalt der jeweiligen CD „auf den Punkt“ bringen soll. Und so kommt auch die jüngste Veröffentlichung des Labels aus Bremen mit einem Slogan daher: „Glosas – Embellished Renaissance Music“.
Diese gewissermaßen „offene“ Betitelung lässt vielfältige Deutungen zu: „Glosas“ steht für „Glosse“, und das englische „to embellish“ lässt so unterschiedliche Deutungen zu, wie das ja uneingeschränkt positiv besetzte Verb „verschönern“ aber auch das doch eher mit dem Makel der Künstlichkeit behaftete „Beschönigen“. Was bedeutet das aber für die vorliegende CD?

Eine Auswahl der verschiedenen Renaissanceblockflöten, die auf dieser Aufnahme zum Einsatz kamen. Bildquelle: Carpe Diem records, Foto: Julia Steinbrecht.

Das sehr schön gestaltete und mit einem durch Ensembleleiter und Solist Vicente Parilla mit Begleittext versehene CD-Booklet klärt uns auf: Mit „Glosse“, im musikalischen Sinne, ist für Vicente Parrila weniger eine Randbemerkung oder ein Kommentar zu einem Werk gemeint (wie man es aus dem literarischen Kontext kennt), sondern eher eine zumeist spontane, manchmal aber auch auskomponierte Herangehensweise an die Ausgestaltung, Verzierung, ja, sogar bewusste Veränderung der hier eingespielten Stücke. Ich muss zugeben, dass ich dieser Erläuterung nur zum Teil folgen kann, weil ich sie etwas bemüht finde. Für mein Gefühl, macht Parilla hier etwas viel „Wind“ um eine Tatsache, die den informierteren und regelmäßigeren Hörern Alter Musik längst schon hinlänglich bekannt ist: Die Musiker der Renaissance, die sich bekanntlich auf aus heutiger Sicht sehr lückenhaft überlieferte Notationen und Tabulaturen oder gar auf gar nicht schriftlich fixierte Weitergaben von Musik stützen mussten, werden gar keine andere Wahl gehabt haben, als die Grundmelodien der einzelnen Stücke abzuwandeln, auszuschmücken oder sie sogar „neu zu erfinden“. Das, was Parilla und sein Ensemble „More Hispano“ hier zelebrieren, ist also die Fortführung eines seit Jahrhunderten betriebenen Prinzips des Musizierens.

Bei der hier besprochenen CD tut man eh besser daran, sich nicht zu viel mit Musiktheorie aufzuhalten, denn ist der vorgebrachte musikalische Ansatz nicht gerade der, der Musik wieder improvisatorischen Raum zu geben und somit vor allem anderen der musikalischen Praxis das erklärte „Ja-Wort“ zu geben?
Auf dieser Ebene nämlich überzeugt die Einspielung vom ersten Moment an. Die Ausführenden bieten auf „Glosas“ eine Art „Hitparade“ der Renaissance-Musik, die sie in unterschiedlichen Besetzungen neu interpretieren. Manche Stücke erklingen mit dem wunderbar natürlichen, man möchte sagen „naturschönen“, Gesang von Sopranistin Raquel Andueza, andere Stücke erklingen im Ensemble mit der Begleitung von Violen, Cembalo und einer (herrlich aufgenommenen) Renaissance-Trommel. Die allermeisten Kompositionen stellen jedoch den warmen Klang von Vicente Parillas Blockflöten den Klängen der Laute gegenüber, die durch das Spiel von Miguel Rincón und Jesús Fernández in unaufdringlicher Art und Weise zum unverzichtbaren Bestandteil dieser Musik wird.

Mitglieder des Ensembles "More Hispano" bei den Proben zu den Aufnahmen der hier besprochenen CD "Glosas" Bildquelle: Carpe Diem records, Foto: Julia Steinbrecht.

Das Endergebnis ist beeindruckend, weil es nicht nur den Mut zur Spontanität und zum Beschreiten wenig begangener Pfade der historischen Aufführungspraxis offenbart, sondern auch, weil deutlich wird, mit wie viel Herzblut und Leidenschaft hier musiziert wird. Musik des 16. Jahrhunderts wird hier tatsächlich zu neuem Leben erweckt und nicht einfach nur wiedergegeben.

Das besondere „i-Tüpfelchen“ ist jedoch der wunderbare Aufnahmeklang, der von Labelchef Jonas Niederstadt persönlich so eingerichtet wurde, dass ich von einer Einspielung sprechen möchte, die einfach sagenhaft realitätsnah klingt. Es ist kaum zu glauben, dass das ein natürlicher Hallraum ist, der auf den Aufnahmen erklingt. Aufschlussreich für diejenigen, die mehr erfahren wollen, ist auch das Video zur Veröffentlichung auf youtube (http://www.youtube.com/watch?v=FPtODbuzwX8), bei dem man auch ein Auge auf die Mikrofonierung und den Aufnahmeraum werfen kann. Das Endergebnis haut einen in Sachen Auflösung und Räumlichkeit glatt um!
Diese CD besitzt eine Qualität, die äußerst selten erreicht wird, denn diese Aufnahme „atmet“ und kommt ganz unaufdringlich und natürlich aus den Boxen. Sie ist eine der am besten aufgezeichneten, die ich im bisherigen Jahr gehört habe. Durch diesen wunderbar „runden“ Klangraum, den Niederstadt hier geschaffen hat, werden auch die Momente der Stille, die in den Vorträgen immer wieder aufblitzen integraler Bestandteil der Aufführung, gehören für mich sogar mit zu den Highlights der vorliegenden Einspielung — was im Übrigen als ausdrückliches Kompliment an die ausführenden Musiker gemeint ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch für diese Künstler nicht einfach ist, sich dieses archaisch anmutende „Ja“ zur Stille zu erarbeiten.

Wenn ich abschließend doch noch etwas zu meckern habe, so bezieht sich das auf die Reihenfolge der dargebotenen Stücke. Man hätte die Abfolge des Programms abwechslungsreicher gestalten können. So finden sich im vorderen und im hinteren Teil des CD-Programms die Stücke, die in opulenteren Besetzungen dargeboten werden, während sich in der Mitte des Programms die Laute-/Flöte-Duette häufen. Vielleicht ist auch nicht jede Spontanimprovisation Vicente Parillas zu 100% gelungen. Mir scheint, dass es da doch ein paar „Ausreißer“ gibt…

Ansonsten ist dies aber eine ganz wunderbare Aufnahme, die übrigens auch mit ihrer grafisch schmucken Ausstattung gut dazu geeignet wäre, um Menschen, die bislang nichts oder wenig mit Renaissancemusik am Hut hatten, für diese zu begeistern. Und Hifi-Fans sollten dieser Scheibe auch mal ihr empfindliches Ohr leihen — es lohnt sich!

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Label „Carpe Diem“ zur Verfügung gestellt.))

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