More Hispano & Vicente Parilla - "Glosas"Mut zur Stillevon Rainer Aschemeier • 15. Juli 2011
Eine wunderschöne CD erscheint in diesen Tagen beim Label „carpe diem“, das sich ganz besonderen akustischen Entdeckungsreisen im Bereich Alter Musik verschrieben hat. Viele Veröffentlichungen aus dem „carpe diem“-Katalog tragen ein Motto, das den Inhalt der jeweiligen CD „auf den Punkt“ bringen soll. Und so kommt auch die jüngste Veröffentlichung des Labels aus Bremen mit einem Slogan daher: „Glosas – Embellished Renaissance Music“. Eine Auswahl der verschiedenen Renaissanceblockflöten, die auf dieser Aufnahme zum Einsatz kamen. Bildquelle: Carpe Diem records, Foto: Julia Steinbrecht. Das sehr schön gestaltete und mit einem durch Ensembleleiter und Solist Vicente Parilla mit Begleittext versehene CD-Booklet klärt uns auf: Mit „Glosse“, im musikalischen Sinne, ist für Vicente Parrila weniger eine Randbemerkung oder ein Kommentar zu einem Werk gemeint (wie man es aus dem literarischen Kontext kennt), sondern eher eine zumeist spontane, manchmal aber auch auskomponierte Herangehensweise an die Ausgestaltung, Verzierung, ja, sogar bewusste Veränderung der hier eingespielten Stücke. Ich muss zugeben, dass ich dieser Erläuterung nur zum Teil folgen kann, weil ich sie etwas bemüht finde. Für mein Gefühl, macht Parilla hier etwas viel „Wind“ um eine Tatsache, die den informierteren und regelmäßigeren Hörern Alter Musik längst schon hinlänglich bekannt ist: Die Musiker der Renaissance, die sich bekanntlich auf aus heutiger Sicht sehr lückenhaft überlieferte Notationen und Tabulaturen oder gar auf gar nicht schriftlich fixierte Weitergaben von Musik stützen mussten, werden gar keine andere Wahl gehabt haben, als die Grundmelodien der einzelnen Stücke abzuwandeln, auszuschmücken oder sie sogar „neu zu erfinden“. Das, was Parilla und sein Ensemble „More Hispano“ hier zelebrieren, ist also die Fortführung eines seit Jahrhunderten betriebenen Prinzips des Musizierens. Bei der hier besprochenen CD tut man eh besser daran, sich nicht zu viel mit Musiktheorie aufzuhalten, denn ist der vorgebrachte musikalische Ansatz nicht gerade der, der Musik wieder improvisatorischen Raum zu geben und somit vor allem anderen der musikalischen Praxis das erklärte „Ja-Wort“ zu geben? Mitglieder des Ensembles "More Hispano" bei den Proben zu den Aufnahmen der hier besprochenen CD "Glosas" Bildquelle: Carpe Diem records, Foto: Julia Steinbrecht. Das Endergebnis ist beeindruckend, weil es nicht nur den Mut zur Spontanität und zum Beschreiten wenig begangener Pfade der historischen Aufführungspraxis offenbart, sondern auch, weil deutlich wird, mit wie viel Herzblut und Leidenschaft hier musiziert wird. Musik des 16. Jahrhunderts wird hier tatsächlich zu neuem Leben erweckt und nicht einfach nur wiedergegeben. Das besondere „i-Tüpfelchen“ ist jedoch der wunderbare Aufnahmeklang, der von Labelchef Jonas Niederstadt persönlich so eingerichtet wurde, dass ich von einer Einspielung sprechen möchte, die einfach sagenhaft realitätsnah klingt. Es ist kaum zu glauben, dass das ein natürlicher Hallraum ist, der auf den Aufnahmen erklingt. Aufschlussreich für diejenigen, die mehr erfahren wollen, ist auch das Video zur Veröffentlichung auf youtube (http://www.youtube.com/watch?v=FPtODbuzwX8), bei dem man auch ein Auge auf die Mikrofonierung und den Aufnahmeraum werfen kann. Das Endergebnis haut einen in Sachen Auflösung und Räumlichkeit glatt um! Wenn ich abschließend doch noch etwas zu meckern habe, so bezieht sich das auf die Reihenfolge der dargebotenen Stücke. Man hätte die Abfolge des Programms abwechslungsreicher gestalten können. So finden sich im vorderen und im hinteren Teil des CD-Programms die Stücke, die in opulenteren Besetzungen dargeboten werden, während sich in der Mitte des Programms die Laute-/Flöte-Duette häufen. Vielleicht ist auch nicht jede Spontanimprovisation Vicente Parillas zu 100% gelungen. Mir scheint, dass es da doch ein paar „Ausreißer“ gibt… Ansonsten ist dies aber eine ganz wunderbare Aufnahme, die übrigens auch mit ihrer grafisch schmucken Ausstattung gut dazu geeignet wäre, um Menschen, die bislang nichts oder wenig mit Renaissancemusik am Hut hatten, für diese zu begeistern. Und Hifi-Fans sollten dieser Scheibe auch mal ihr empfindliches Ohr leihen — es lohnt sich! ((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Label „Carpe Diem“ zur Verfügung gestellt.)) |
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