H. Genzmer - Orchesterwerke Vol. IV (2011)
• • • • • Harald Genzmer - Orchesterwerke Vol. IVHindemiths wichtigster Schüler in erneut beispielhafter Einspielung gewürdigtvon Rainer Aschemeier • 11. Juli 2011
Bereits bei der vierten Folge ist das Mammutprojekt des Thorofon-Labels angelangt, welches versucht, in Kooperation mit Saarländischem und Südwest-Rundfunk sämtliche Orchesterwerke Harald Genzmers für die Nachwelt zu dokumentieren. Harald Genzmer gilt als wichtigster Schüler Paul Hindemiths; wichtig deswegen, weil er nicht nur Hindemiths Bekenntnisse zur erweiterten Tonalität einerseits und zur Laienmusik andererseits aufgenommen und fortentwickelt hat, sondern auch, weil er mit seiner Musik zunächst eine enorme Breitenwirkung erzielen konnte. Er komponierte seine Stücke stets nach dem von ihm definierten Motto: „Musik soll vital, kunstvoll und verständlich sein. Als praktikabel möge sie den Interpreten für sich gewinnen, als erfassbar sodann den Hörer.“ Das Orchesterwerk umfasst unter anderem 5 große Sinfonien sowie über 30 Solokonzerte für die unterschiedlichsten Instrumente. Das bekannteste Stück Genzmers dürfte jedoch seine „Sinfonietta“ für Streichorchester aus dem Jahr 1953 sein. Es taucht auch heute noch gelegentlich auf ambitionierten Konzertprogrammen auf. Es wird deutlich: Hier hat sich die Plattenfirma aus Baden-Baden, die sich seit Jahren tapfer vor allem durch die Dokumentierung von Nischenrepertoire der Moderne einen Namen gemacht hat, einiges vorgenommen; denn nicht nur Genzmers Orchesterwerk befindet sich in ihrem Katalog, sondern auch viel von der ebenfalls zahlreichen Kammermusik des Komponisten kann man bei Thorofon käuflich erwerben. 17 CDs führt das Label inzwischen unter dem Katalogeintrag „Genzmer“. Wer sich selbst solch einen Auftrag gestellt hat, weiß um seine Verantwortung. Und so nimmt es kaum Wunder, dass die Einspielungen auf der hier besprochenen CD allesamt Referenzcharakter beanspruchen können. Die „Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern“ (offenbar hat dieses Orchester eine generelle Abneigung gegen Bindestriche!?) ist ein mehr als qualifizierter Sachwalter für die Aufführung von Genzmers Musik — erst recht unter der Leitung des Ausnahmedirigenten Werner Andreas Albert, der in den 1990er-Jahren mit dem Label cpo eine grandiose Gesamtaufnahme der Orchesterwerke von Paul Hindemith zustande gebracht und dabei selbst australischen Provinzorchestern wahre Wunderdinge entlockt hatte. Werner Andreas Albert, der einst sein Handwerk unter Herbert von Karajan und Hans Rosbaud lernte, ist einer der sicherlich am meisten unterschätzten Dirigenten unserer Zeit. Die Qualität seiner Dirigate und sein Bekanntheitsgrad unter der Bevölkerung stehen leider in keinem Verhältnis. Noch nie, wirklich noch nie, habe ich eine schlechte Einspielung von Werner Andreas Albert gehört — und für die Wiedergabe der Musik von Harald Genzmer ist er, der schon die Hindemith-Gesamtaufnahme erfolgreich realisierte, zweifellos genau der Richtige. Eine bessere Kombination aus Orchester und Dirigat hätte sich das Thorofon-Label nicht wünschen können, um die Fünfte Sinfonie (ein Alterswerk, bei dem Genzmer bereits 89 Jahre alt war), das Zweite Orchesterkonzert (1962/63) und die „Tänzerische Suite“ (1939) einzuspielen, welches die Stücke sind, die man auf dieser wunderbaren CD wiederfindet. Beim Hören des Programms müsste man sich eigentlich von hinten nach vorn arbeiten, dann könnte man gewissermaßen miterleben, wie sich Genzmer von der „Tänzerischen Suite“, die mehr als offensichtlich noch vollkommen unter dem Banne seines namhaften Lehrers Hindemith steht, sich bis hin zu einem absolut eigenständigen Spätstil in der fünften Sinfonie mehr und mehr zu einem unabhängigen Künstler von eigenem Gewicht gewandelt hat. Man hat Genzmer übrigens oft übel genommen, dass er in der Nachfolge Hindemiths der Tonalität nie eine Abfuhr erteilte und dass er auch vermeintlich „antiquierten“ Konzepten, wie etwa der Sinfonie oder dem Solokonzert, bis in die jüngste Zeit hinein weiter nachging. Unter den Dodekaphonisten oder freien Atonalen war Genzmer daher lange Zeit gar kein Thema oder wenn doch, dann eher als „abschreckendes Beispiel“. In unserer heutigen Zeit aber, in der zu erkennen ist, dass sich sowohl international als auch in Deutschland immer mehr Komponisten zunehmend wieder der Tonalität anzunähern beginnen und dort wieder ihren Ansatz und ihren Weg suchen, wäre die Zeit eigentlich reif dafür, um die Musik Harald Genzmers (der letztlich fast 100 Jahre alt wurde) wieder verstärkt auf die Spielpläne zu setzen oder — wie hier — per Tonträger zugänglich zu machen und zu verbreiten. Klanglich ist die vorliegende CD jedoch sehr gut. Zwar entspricht der Sound der üblichen Radiotonmeisterroutine; da diese jedoch bekanntlich auf einem immens hohen Level rangiert, kann man diesen Einspielungen ähnlich wie anderen von SR/SWR verantworteten Aufnahmen einige Hifi-Qualitäten attestieren. So sind zum Beispiel Räumlichkeit, Hochfrequenz-Auflösung und Bassfundament zur audiophilen Oberklasse zu rechnen. Lediglich die Tatsache, dass die Auflösung abseits der Höhen doch hörbar weniger gut funktioniert und die tiefen Mitten (typisch für viele Produktionen, bei denen Rundfunk-Tonmeister am Werk waren) gelegentlich weniger gut differenzierbar ausfallen (dies auch durch eine Überbetonung des Hallraums bedingt), stören in geringem Maße den ansonsten hervorragenden Klangeindruck. Da merkt man dann eben doch etwas die angesprochene Routine der Rundfunk-Tonmeister, die kostenbedingt oft nur wenig Zeit zur Einrichtung der Mikrofone zur Verfügung haben und unter diesen Umständen trotzdem oft herausragend gut klingende Aufnahmen zaubern. Fazit: Die vorliegende CD bietet drei sehr reizvolle Stücke eines notorisch unterschätzten Komponisten in der Nachfolge Paul Hindemiths in herausragend guten Interpretationen und mit mehr als ordentlichem Sound. Hindemith-Fans dürften die dargebotenen Stücke sofort ins Herz schließen, und auch Anhängern gemäßigt moderner Klänge sei allgemein empfohlen, beim nächsten Besuch im Plattenladen des Vertrauens dieser neuen Produktion aus dem Hause Thorofon einen ausgedehnten Probedurchlauf zu gönnen. Eigentlich ist das hier aber auch eine CD, die Mutige durchaus blind kaufen können, denn die eingespielten Stücke sind so inspiriert wie solide komponiert, und auch sonst hat auf dieser Neuveröffentlichung alles Hand und Fuss. ((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Thorofon-Labels, der Firma Klassik Center Kassel, zur Verfügung gestellt.)) |
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