Dmitri Schostakowitsch / Rudolf Barshai - Kammersymphonien Nr. 1-5Orchestra Sinfonica di Milano "Giuseppe Verdi" - Rudolf Barshaivon Rainer Aschemeier • 1. August 2006 Rudolf Barshai: Russischer Dirigent von Weltruf. Letzter „Überlebender“ einer Generation russischer Weltklassedirigenten wie z. B. Jewgenij Swetlanow, Kyrill Kondraschin und Gennadij Roshdestwenskij. Studienkollege von Dmitrij Schostakowitsch, Dirigent zahlreicher Uraufführungen seiner Werke. Arrangierte 5 Schostakowitsch-Streichquartette für Kammerorchester zu sog. „Kammersymphonien“. Op. 110 entstand nach Streichquartett Nr. 8 noch zu Lebzeiten des Komponisten, der so begeistert von der Orchesterfassung war, dass er sie als op. 110a in den offiziellen Katalog seines Oeuvres aufnahm. Dmitrij Schostakowitsch: Russischer Komponist von Weltruf. Gilt heute allgemein als bedeutendster Sinfoniker des 20. Jh. Musikalisches Genie und Wunderkind, dem Alexander Glasunow einst attestierte, er sei die „größte musikalische Begabung seit Mozart“. Der persönlichen Missgunst Stalins ausgeliefert, schwebte Schostakowitsch während der Zeit der „Kultursäuberungsaktionen“ durch Schdanow jahrelang in Lebensgefahr – erschütternde Memoiren, die erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden. Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“: Renommiertes italienisches Sinfonieorchester. Im europäischen Vergleich qualitativ eher als „mittelmäßig“ zu bezeichnen, trotz einiger sehr ordentlicher Strawinsky- und Skrjabin-Einspielungen. Eigentlich könnte diese CD-Review hier enden, denn jeder einigermaßen intelligente Mensch erkennt die Crux der Sache. Kurz formuliert: Genialer Dirigent, Orchestrator und Zeitzeuge trifft auf ambitioniertes Mittelklasse-Orchester. Doch damit ist die Sache nicht abgetan: Zu allem Überfluss wurden die von Rudolf Barshai orchestrierten „Kammersymphonien“ live mitgeschnitten. Von Labels wie EMI, Deutsche Grammophon und Decca ist bekannt: Liveaufnahmen können genau so gut und nebengeräuscharm klingen wie Studioaufnahmen. Leider muss eben das Tontechniker Roberto Brenna entgangen sein. Brenna ist verantwortlich für die vorliegende Live-Akustik, deren Charakteristik ein unvorteilhaft präsenter Raumklang ist, der den Klang des Mailänder Sinfonieorchesters verwaschen und breiig wiedergibt. Darüber hinaus ist nun auch die Nachwelt über die (zahlreichen) erkälteten Konzert-Abonnenten in Mailand akustisch informiert. Alles in allem bleibt die ganze Aktion ein Kuriosum: Es gibt bereits seit den 1990ern eine Gesamteinspielung der Schostakowitsch-Barshai’schen Kammersymphonien unter dem Dirigat des Urhebers bei der Deutschen Grammophon. Zwar war auch diese Edition nicht optimal, da sie mit mehreren Orchestern zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingespielt wurde (klangliche und interpretatorische Qualität schwankten etwas), dennoch ist sie tausendmal besser als das, was das niederländische Budget-Label „Brilliant Classics“ hier vorlegt. Besonders bedauerlich ist dies ob der Tatsache, dass die 15 „echten“ Symphonien von Schostakowitsch bei Brilliant Classics in einer Weltklasse-Aufnahme vorliegen. Dirigent: Barshai. Orchester: WDR Sinfonieorchester. Sound: WDR. Das bedeutet: Weltklasse-Dirigent, Weltklasse-Orchester, Weltklasse-Sound. Nicht wenige sind der Meinung, diese Gesamteinspielung ist die beste je erreichte Leistung auf dem Sektor der Schostakowitsch’schen Symphonie-Interpretation. Im Spiegel dieser Sternstunde der Klassik-CD-Geschichte wirkt die vorliegende Gesamtedition der Kammersymphonien – eine gewisse Erwartungshaltung nicht verleugnend – leider in höchstem Maße ernüchternd, und ich traue mir die Vermutung zu, dass auch Rudolf Barshai selbst mit der vorliegenden Aufnahme nicht zufrieden sein kann. Die Gründe liegen in einem ambitionierten, aber eben doch nur moderaten, Sinfonieorchester und einem nicht gut aufgenommenen Klang. Schade drum! |
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