Alfred Schnittke - Violinsonaten (Gesamtaufnahme)Das letzte Kompositionsgenie des 20. Jahrhunderts in einer Referenzaufnahmevon Rainer Aschemeier • 10. Juni 2011
Es gibt Musik, bei der man das Gefühl hat, in Abgründe zu schauen – seelische Abgründe zum Beispiel. Wer würde nicht erschauern, angesichts der „Geistervariationen über den letzten Gedanken“ von Robert Schumann, des achten Streichquartetts von Dmitri Schostakowitsch oder der „Appassionata“ von Ludwig van Beethoven!? Selbst bei den sogenannten „großen“ Komponisten sind es Werke von Ausnahmecharakter, die Menschen überall auf der Welt so berühren, dass das Publikum hingerissen immer wieder in die Konzertsäle und Plattenläden dieser Welt läuft, um sich dem Abgrund erneut hinzugeben. Unter diesen ganz großen Komponisten muss zweifellos auch der Wolgadeutsche Alfred Schnittke (1934-1998) genannt werden. David Geringas sagte beispielsweise von Schnittkes „Epilog“ aus dem Ballett „Peer Gynt“ für Cello, Klavier und Tonband, dass es das beste Stück für Cello und Klavier seit Beethovens Cellosonaten sei – und das bedeutet: Alleroberste Kategorie! Es ist also ein großes „Erbe“, das die Ausführenden auf der vorliegenden CD antreten. Die beiden, die dieses Wagnis eingehen sind Carolyn Huebl, normalerweise Violinistin des Blakemore Trios (und nicht etwa des „Blake“ Trios, wie Naxos in seinem Beiheft fälschlicherweise angibt), und Mark Wait, seines Zeichens Dekan und Professor der „Blair School of Music“ an der Vanderbilt University in Nashville. Während Wait bereits als Solist im Rahmen der fantastischen Reihe von Strawinsky-Aufnahmen unter dem Dirigat von Robert Craft bei Naxos hervorgetreten ist, ist Carolyn Huebl bislang noch nicht auf CDs des Labels aufgetaucht. Angesichts der Tatsache, dass es zur Zeit außer der hier vorliegenden keine weitere Gesamteinspielung von Schnittkes Violinsonaten am Markt gibt, kann man sich nur freuen, dass es zum bekannt günstigen Naxos-Preis nun eine so wundervolle CD gibt, der man in der Tat die größtmögliche Verbreitung wünscht. Schnittkes Sonaten nämlich sind eben jene Stücke, in denen sich die Abgründe auftun, die man von den größten Werken der Musik kennt. Schnittke, der, geplagt von mehreren Schlaganfällen, die letzten acht Jahre seines Lebens (1990-1998) als Kompositionsprofessor in Hamburg verbrachte, war wahrhaft ein Genie – vielleicht der letzte wahrhaft geniale Komponist des 20. Jahrhunderts, hoffentlich aber nicht der letzte geniale Komponist überhaupt… auch wenn sich ein kongenialer „Nachfolger“ zurzeit wahrlich nicht ausmachen lässt. Zum Schluss, wie immer, noch ein paar Sätze zum CD-Sound: Auch dieser könnte kaum besser sein. Der Aufnahmeklang ist zwar an der Grenze zu dem, was ich als „staubtrocken“ bezeichnen würde, doch das kommt Schnittkes Musik eher entgegen, weil diese oft sehr dicht gesetzt ist und sowieso nach einer makellosen Durchhörbarkeit geradezu „schreit“. Tonmeister Bill Siegmund hat gerade genug Hall zugelassen, um eine Räumlichkeit erahnen zu können, in der – wenn man überhaupt etwas an dieser sehr sehr gut aufgenommenen CD aussetzen möchte – lediglich das Klavier ein winziges bisschen „halliger“ wirkt als die Violine, was manchmal zu dem Eindruck führt, dass beide Musiker sich nicht im selben Raum befinden würden. Doch dieser Eindruck drängt sich absolut nicht auf, sondern bedarf im Gegenteil genauen Hinhörens. Für meine Begriffe ist diese Gesamtaufnahme sowohl interpretatorisch als auch klanglich eine glasklare Höchstwertung und somit eine von www.the-listener.de wärmstens empfohlene Referenzaufnahme. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass diese fabelhafte Aufnahme in näherer Zukunft in Gefahr gerät, von unserem Referenzthron gestoßen zu werden. Dazu spielen Huebl und Wait einfach zu gut! ((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Naxos-Vertrieb zur Verfügung gestellt.)) |
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