G. Ferlendis - Sämtliche Orchesterwerke (2011)
• • • • Giuseppe Ferlendis - Sämtliche OrchesterwerkeMozarts Oboist der Wahlvon Rainer Aschemeier • 28. Mai 2011
Bevor wir über Giuseppe Ferlendis, den Komponisten der Werke auf dieser neuen CD des italienischen Traditionslabels „tactus“ reden, müssen wir uns unbedingt Wolfgang Amadeus Mozart zuwenden; denn wer weiß, ob Ferlendis‘ Werke so klingen würden, wie sie klingen, hätte es Mozart nicht gegeben. Dieses Ereignis trägt die Köchelverzeichnisnummer KV 314 und ist Wolfgang Amadeus Mozarts einziges überliefertes Oboenkonzert — obwohl der Briefwechsel zwischen Wolfgang und Leopold Mozart den Verdacht zulässt, dass es noch ein weiteres Oboenkonzert aus Mozarts Feder gegeben haben könnte. Falls dem so wäre, ist dieses Werk gegenwärtig verschollen. Mozart schrieb das Oboenkonzert KV 314 dezidiert dem Oboenvirtuosen Giuseppe Ferlendis „auf den Leib“. Noch Jahre später würden sich der junge Mozart und sein Vater anerkennend über den Oboisten äußern und sogar dessen Werdegang verfolgen. Das lässt erahnen, dass die Mozarts Ferlendis sehr zu schätzen wussten; und wenn man die neue CD aus dem Hause tactus hört, weiß man auch weshalb. Während es im 18. und 19. Jahrhundert massenweise reisende Virtuosen gab, die für „ihr“ Instrument auch selbst komponierten, so ist doch nur das Allerwenigste von den dabei entstandenen Stücken wirklich gut oder (um es ehrlich zu sagen) auch nur ansatzweise erträglich. Viel zu oft schrieben sich diese Künstler, die sicher gute Musiker aber allzu oft nur mäßig begabte Komponisten waren, entweder kurze, gefällige aber völlig belanglose Konzerte oder sie kreierten eine Art musikalischen „Trimm-Dich-Kurs“ für ihr Soloinstrument, bei welchem dann mehr der fehlerfreie Vortrag höchster Schwierigkeitsgrade zählte, als der musikalische Gehalt der Stücke. Dass solche Leute oft auch nur mittelmäßig orchestrierten, braucht nicht extra erwähnt zu werden. Zeitgenössische Karikaturen sind meistens nur wenig aufschlussreich, wenn man wissen möchte, wie ein Künstler tatsächlich ausgesehen hat. Doch Eines ist sicher: Nur wer unter seinen Zeitgenossen tatsächlich populär ist, wird auch karikiert. Diese Federzeichnung aus dem 18. Jahrhundert zeigt angeblich Giuseppe Ferlendis beim Oboespiel. Ganz anders sieht die Lage bei Giuseppe Ferlendis aus: Dessen Konzerte versprühen einen geradezu magischen Melodienreichtum, der in meinen Ohren Ferlendis‘ Zeitgenossen Johann Baptist Vaňhal oder auch Johann Christian Bach gar nicht so unähnlich ist. Das sind große Namen, die aber noch dadurch getoppt werden, dass der Musikwissenschaftler George St. Foix angesichts von Ferlendis Oboenkonzert in F-Dur im Jahr 1920 die gewagte These aufstellte, dass eben dieses Konzert das angesprochene, heute verschollene Mozart-Oboenkonzert sein könnte, und Giuseppe Ferlendis habe sich dieses später eigenmächtig selbst zugeschrieben. Die nun vorliegende neue CD aus dem Hause tactus verkündet auf ihrem Cover vollmundig die Ankunft des orchestralen Gesamtwerks des italienischen Oboenvirtuosen, und das — das muss man einfach mal sagen — stimmt so nicht! So sind von Ferlendis‘ bislang vier bekannten Oboenkonzerten hier „nur“ drei eingespielt worden, was man dem Label aber kaum ankreiden kann, denn zu dem vierten Konzert des Mozart-Zeitgenossen fehlt die Solostimme. Aber auch bei dem hier vorgestellten Englischhorn-Konzert in F-Dur, das die drei Oboenkonzerte auf dieser CD zusammen mit einer kurzen Sinfonia in Es-Dur ergänzt, sind Zweifel an der Urheberschaft durch Ferlendis nicht zweifelsfrei ausgeräumt. Aber, und das muss unumwunden zugegeben werden, die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei um ein Stück von Giuseppe Ferlendis handelt, ist wohl so hoch, dass diese Zuschreibung als sehr genau gilt. Die drei hier neu eingespielten Oboenkonzerte waren bereits 2003 vom Orchestra Haydn die Bolzano e Trento in einer Gesamtedition beim Label cpo vorgelegt worden (das Englischhornkonzert und die Sinfonie nicht). Die damals erschienene Edition war eine sehr gute Aufnahme der Stücke auf historischen Instrumenten und auch klanglich bestens disponiert. Leider gibt es in der vorliegenden tactus-CD keinerlei Informationen über das als „Orchestra G. Ferlendis“ ausgewiesene Ensemble, doch vom Klangeindruck her würde ich sagen, dass dieses Orchester nicht auf alten Instrumenten musiziert, sondern auf „modernem“ Instrumentarium, allerdings wohl unter Anwendung historischer Aufführungspraxis. Letzteres merkt man allerdings am CD-Klang, der nicht ohne Nebengeräusche auskommt und im oberen Frequenzbereich arg beschnitten wirkt. Kein Wunder: Huster und Nieser des sicherlich anwesenden Konzertauditoriums werden auf dem späteren Aufführungsmitschnitt durch diese Maßnahme weitgehend vermieden, doch hinterlässt das auch einen klanglichen Eindruck, den man als „dumpf“ in den Höhen bezeichnen könnte. Die Tonmeister entschädigen uns dafür mit einem erfreulich soliden Mitten- und Bassfundament, das zudem hübsch räumlich und wunderbar „warm“ aufgezeichnet wurde, wenngleich die Aufführungslocation (eine Kirche) einen sehr langen Raumhall auf der Aufnahme mit sich bringt, der sicher nicht jedermanns Sache ist. Ich persönlich kann das aber gut hören und mag einen solchen Aufnahmeklang lieber, als eine blitzsauber aufgelöste aber emotional arme Tonmeister-Arbeit. Das ist dann eben gefühlsmäßig gesehen wie der Unterschied zwischen Kaminfeuer und Lasershow: Beides hat fraglos seine Reize, aber das Kaminfeuer ist mir eben lieber. Fazit: Eine rundum wunderbare Neuveröffentlichung mit einem noch immer zu wenig gewürdigten Repertoire in einer Einspielung mit viel Verve und Herzblut. Allerdings gibt es objektiv betrachtet deutliche Abstriche an der Klangfront! Aber tactus war ja noch nie ein als audiophil bekanntes Label, weswegen dieser Umstand nicht weiter ins Gewicht fällt. Alles in allem: Eine Kaufempfehlung! ((Das Hörexemplar dieser CD wurde uns freundlicherweise vom tactus-Deutschlandvertrieb „KLASSIK CENTER KASSEL“ zur Verfügung gestellt.)) |
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