Dr. Faith
Christopher Cross
(2011)
EARmusic/edel
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'bisschen Schmalz auf's Brot ist ja auch mal nett...
von Rainer Aschemeier • 4. Mai 2011
Mit einem neuen Album meldet sich ein vergessen geglaubter Ex-Superstar zurück: Christopher Cross, seines Zeichens sechsfacher Grammy-Gewinner, der mit „Sailing“ und „Ride Like The Wind“ die anno 1980 erfolgreichsten Singles im AOR-Genre hervorgebracht hatte und nur wenige Jahre später sowas von in der Versenkung verschwand, dass bis heute tatsächlich viele denken, die knarzige Saxon-Coverversion von „Ride like the Wind“ sei ein Originaltitel der britischen Metaller.
Auch das neue Machwerk „Dr. Faith“ kann natürlich nicht an das fabulöse Debüt anknüpfen, doch wer hätte das ernsthaft erwartet oder verlangt? Wir reden hier von Christopher Cross, also einem Künstler, der in den letzten 20 Jahren entweder qualitativ vernachlässigbare Alben produziert oder einfach konsequenterweise überhaupt nicht mehr Musik gemacht hat. Da schüttelt man nicht mal eben ein zweites „Ride Like The Wind“ aus dem Ärmel.
Trotzdem ist feststellbar, dass Cross die zehnjährige Pause erkennbar gut getan hat, denn „Dr. Faith“ bietet um Lichtjahre besseres Songmaterial, als das z. B. noch vor zehn Jahren auf „Red Room“ oder auf den halbgaren Alben der ausgehenden Achtziger und Neunziger der Fall war.
Die Songideen sind vielfach gut, teilweise gar brillant. Jedoch werden einige Balladen leider durch ein an Kitsch kaum überbietbares Streicherensemble plattgemacht. Auch die Produktion, so klar und audiophil sie im Prinzip ausgefallen sein mag, erinnert größtenteils leider an die weniger tollen Momente der 1980er-Jahre. Hatten wir solche von Plate Hall-Effekten versilberten Vocalspuren, weichgespülten Streicher und von Choruseffekten durchgenudelten Pianoparts nicht schon vor mindestens 16, 17 Jahren kollektiv zu den Akten gelegt? Egal! Christopher Cross holt sie alle wieder raus aus der Klamottenkiste.
Insgesamt wirkt das so entstandene Album dadurch unfassbar altmodisch und auch sehr amerikanisch, und ich habe so meine Zweifel, ob heutzutage viele Europäer diesen patentierten US-Sound, der irgendwo zwischen (zu wenig) Journey und (zu viel) Kenny G. hin und her pendelt goutieren werden.
Ich persönlich muss gestehen: Ich fand vieles in dem Sektor schon immer klasse! Ob Eddie Money, REO Speedwagon, ELO, die späten Journey… und wie sie alle heißen… Für mich ist das so herrlich maccaroni-cheese-mäßig käsig, dass es schon wieder salonfähig ist. Und eins sollte man einfach mal nicht vergessen: Diese Leute sind alle tolle Songwriter! Viele Bands würden sich wünschen, sie hätten nur einmal so nette Songideen und -strukturen und (++aber hallo!++) so hervorragend ausgeführte Gitarrensoli wie Christopher Cross auf „Dr. Faith“. Wenn die Scheibe nur a bissl weniger kitschig wäre (Seufz!)...
Fazit: Nette bis zum Teil gute aber unsagbar – was sage ich – unfassbar schmalzige Platte eines vergessen geglaubten Veteranen der AOR-Szene. Die ersten beiden Songs („Hey Kid“ sowie „I’m Too Old For This“) sind ganz große Klasse! Aber eben leider nur die ersten beiden Songs… Alles andere ist überwiegend leider nur gerade noch so hörbar, wenn auch vom Songwritingaspekt aus gesehen hin und wieder ganz großes Kino. Produktionsmäßig ist dieses Album so 80er-Jahre-mäßig, wie ich das in den letzten paar Jahren praktisch noch nie so extrem gehört habe (auch bei den alten „Haudegen“ nicht). Auch rein quantitativ hat dieses Album vom Guten zu viel: 13 Songs in dem schmusigen Soundgewand sind einfach definitiv too much! Beim nächsten Mal bitte etwas schlichter und trockener produziert; dann klappt’s auch mit dem Nachbarn.
So, wie es jetzt ist, kann man „Dr. Faith“ aber nicht mit über zwei Punkten bewerten, und selbst dann nur des guten Willens, der ersten beiden Songs und der guten alten Zeiten wegen. Schade! Teilweise sehr gutes Songpotenzial wurde hier per Mischpult brettplatt gezuckert.