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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Jennifer Higdon - The Singing Rooms
Atlanta Symphony Orchestra and Chorus - Robert Spano (Dir.), Jennifer Koh (Violine)

(2010)
Telarc

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Musik von Higdon, Singleton, Skrjabin

Ekstatischer Sahnehappen

von Rainer Aschemeier  •  28. April 2011

Das Atlanta Symphony Orchestra gilt spätestens seit der Verpflichtung seines derzeitigen GMD Robert Spano vor zehn Jahren nicht nur als eines der allerbesten, sondern auch als eines der abenteuerlustigsten Orchester Amerikas – vielleicht sogar der Welt. Eine CD-Veröffentlichung wie die hier vorliegende würde, käme sie von den Berliner Philharmonikern mit Simon Rattle, Aufschreie des Entsetzens unter denjenigen hervorrufen, die meinen, das sich gute Musik lediglich in einem Zeitkorridor zwischen Haydn und Strauss abspielt und dass ein großes nationales Orchester schließlich für etwas anderes, das ja dann sowieso nur „B-Liga“ sein könnte – zumal, wenn es aus Amerika stammt – „zu schade“ sei. Wie engstirnig und langweilig ist doch der Großteil der deutschen und europäischen Klassik-Szene!
Die amerikanischen Komponistinnen und Komponisten der Gegenwart haben nicht nur kein Problem damit, munter zwischen Dodekaphonie, freier Atonalität und an Kitsch grenzendem Neo-Romantizismus hin und her zu switchen, sondern sie wissen auch, dass die Orchester des Landes mutig genug sind, sie in ihrem Tun zu unterstützen. Wie wunderbar unkonventionelle Stücke sich oft aus dieser Situation der kreativen Freiheit ergeben, zeigen die famosen Einspielungen von Werken von Komponisten wie Christopher Theofanidis, John Corigliano oder eben Jennifer Higdon. In den USA sind einige dieser Stücke längst zu Dauerbrennern auf den Spielplänen geworden. Das Violinkonzert von Jennifer Higdon wurde in einer riesigen US-Tournee von Hillary Hahn in alle großen Städte Nordamerikas getragen. Um das hier vorliegende Werk „The Singing Rooms“ stritten sich gleich drei große Sinfonieorchester (Philadelphia, Minnesota und Atlanta) um die Beauftragung und Uraufführung. Philadelphia bekam letztlich den „Zuschlag“, Christoph Eschenbach dirigierte. Zeigt mir mal einen zeitgenössischen deutschen Komponisten, der solche Offerten und Möglichkeiten hat!
Das sich diese Politik des erklärten Ja-Sagens zu neuer Musik kreativ auszahlt, zeigt diese neue Telarc-Produktion mit dem o. g. Werk „The Singing Rooms“ für Violine, Chor und Orchester von Jennifer Higdon, dem Stück „PraiseMaker“ für Chor und Orchester des US-Amerikaners Alvin Singleton sowie (ungewöhnliche Programm-Kombination) dem hinlänglich eingespielten und bekannten „La Poème de l’extase“ des theosophisch leicht bis mittelschwer verunglückten russischen Musikmystikers Alexander Skrjabin. Das Higdon-Stück überzeugt konzeptionell und musikalisch von der ersten Minute an. In einer einzigartigen Mischung aus Violinkonzert und Kantate wird anhand von Gedichten aus der Feder der Lyrikprofessorin Jeanne Minahan vom rennomierten Curtis Institute in Philadelphia das Leben als ein andauernder Prozess der Suche und der Überwindung von Widerständen in Musik gefasst. Als Metapher hierfür erscheint (ein kaum neu zu nennender Gedanke) das „Haus“ für das Leben, dessen „Räume“ vom „Morgen“ bis zum „Abend“ durch den Lichteinfall unterschiedlich beleuchtet werden. Ein klassisches Bild der Mystiker seit alters her, das jedoch in der Musik selten so überzeugend und qualitativ schlichtweg großartig umgesetzt worden ist.
Etwas weniger stark ist in meinen Augen das Stück „PraiseMaker“ von Alvin Singleton ausgefallen, dessen Kompositionsstil sich manches Mal anhört, wie die ungewöhnliche Tonsprache des Japaners Takashi Yoshimatsu – nur nicht ganz so gut. „PraiseMaker“ wirkt überladen und etwas uninspiriert, fast wie ein Wettbewerbsbeitrag – ein Profilierstück, um zu zeigen, dass der Komponist auch „Chor kann“, doch nicht wesentlich mehr.
Der spannende Abschluss ist dann das o. g. Skrjabin-Stück, zu dem es viel starke Konkurrenz am Markt gibt, so z. B. die zu Tode gelobte Einspielung des Philadelphia Orchestra unter Riccardo Muti auf EMI records sowie die DECCA-Aufnahme des Deutschen Sinfonieorchesters Berlin unter Vladimir Ashkenazy und die famose Neueinspielung des Stücks bei BIS unter der Leitung von Leif Segerstam. Hier wird die orchestrale Klasse des Atlanta Symphony Orchestra deutlich, die der der „Big Five“ um keinen Deut nachsteht. Ganz im Gegenteil: Für mich ist das ASO das zur Zeit beste amerikanische Orchester, wie immer wieder die großartigen Telarc-Aufnahmen bezeugen. Und – nicht zu vergessen – das ASO ist seit Jahrzehnten mit einem Chor gesegnet, der qualitativ seinen Orchestermusikern absolut ebenbürtig ist und in Amerika seinesgleichen sucht.

Fazit: Eine Spitzen-CD in jeder Hinsicht und durch die fast schon gewohnt sagenhafte Klangqualität aus dem Hause Telarc auch für Hifi-Freaks ein Sahnehappen! Höchstwertung!

(Die CD für die vorliegende Besprechung wurde freundlicherweise vom Telarc-Deutschlandvertrieb in-akustik zur Verfügung gestellt.)

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