Wendy Warner & Irina Nuzova - Russische Musik für Cello und KlavierSchwelgerische Musik angenehm nüchtern interpretiertvon Rainer Aschemeier • 16. November 2010 Eine CD, die sich der Verbreitung seltenst zu hörender und zutiefst originär russischer Musik widmet, würde man auf den ersten Blick nicht unbedingt beim Label Cedille vermuten. Denn „Cedille Records“ ist das Plattenlabel der Chicago Classical Recording Foundation, einer Stiftung, die sich der Dokumentation von Tonaufnahmen von Künstlern aus dem Großraum Chicago gewidmet hat und in den sonst finanziell doch eher unspaßigen USA tatsächlich von der Steuer befreit ist. Fördert der US-amerikanische Staat also nun den alten Klassenfeind? Eine nähere Betrachtung der beiden Interpretinnen bringt etwas mehr Licht in die Sache: Die Chicagoer Cellistin Wendy Warner ist seit einigen Jahren schon so etwas wie der heimliche Star des Cedille-Labels – und das durchaus berechtigt, wie man anmerken muss. Der angenehm nüchterne, „aufgeräumte“ Ansatz, den Warner bei ihrem Cellospiel pflegt, ist ein wohltuender Kontrast zu der immer noch viel zu großen Zahl von Cellovirtuosen, die ihr Instrument zum beständig sterbenden Schwan erkoren haben und vor lauter Seidenschmelz und Einlullvibrato kaum noch Unterschiede erkennen lassen: egal ob Mjaskowski oder Haydn – das Cello stirbt! Ein weiterer Aspekt ist, dass das Cello ein streng genommen sehr schwierig zu beherrschendes Instrument ist. Selbst namhafte Virtuosen entlocken in schwachen Momenten ihrem Instrument schon einmal Klänge, die weniger an sterbenden Schwan sondern vielmehr an kranke Kuh erinnern. Auch wenn eine Studioproduktion natürlich viel Raum für Ausbesserungen und Glattpolierereien aller Art bietet, ist es beeindruckend zu hören, wie traumwandlerisch sicher, souverän und vor allem mit welch ureigenem „Sound“ Wendy Warner ihr Instrument offenbar beherrscht. Das ist wirklich Weltklasse!Seit einiger Zeit nun bildet Frau Warner zusammen mit der russischstämmigen Pianistin Irina Nuzova ein Duo – und hier liegt also der Quell der Inspiration zu den auf einem Chicagoer Label so unerwartet russischen Klängen. Dabei greifen die beiden Frauen tief in die Klamottenkiste der russischen Spätromantik und Frühmoderne und zaubern Werke zutage, die mit dem Prädikat „vergessen“ noch löblich umschrieben sind. Die wenigsten Menschen kennen überhaupt den Komponisten Nikolai Mjaskowski, einen Zeitgenossen von Schostakowitsch und Prokoffjew, der jedoch einen anachronistisch anmutenden, zeitweise von Skrjabin beeinflussten spätromantischen Stil pflegte. Noch weniger Menschen dürften dessen zweite Cellosonate kennen, die zwar einst von Mstislaw Rostropowitsch, dem wohl berühmtesten Cellovirtuosen unserer Zeit, uraufgeführt wurde, seitdem aber ein höchst ungerechtes Mauerblümchendasein im klassischen Konzertbetrieb führt. Desgleichen dürfte für den wahren „Exoten“ dieser CD gelten, der Cellosonate in g-moll von Sergej Rachmaninoff. Rachmaninoff, der gern auf zweite Sinfonie und zweites Klavierkonzert reduziert und mit dem zweifelhaften Emblem des Kuschelklassikkomponisten gebrandmarkt wird, war – und das wird anhand der Cellosonate deutlich – eben doch ein sehr facettenreicher Komponist und eine bislang weitgehend zu wenig (wieder)entdeckte Kammermusikbegabung. Doch die wahren Kleinodien dieser CD sind die kurzen eingestreuten Stücke von Alexander Skrjabin, Sergej Prokoffjew und vor allem das zauberhafte „Nostalgica“ des Wolgadeutschen Alfred Schnittke – allesamt extrem selten zu hörende Schmuckstücke des Kammermusikrepertoires. Sergej Prokoffjew spielt Klavier, der berühmte Cellovirtuose Mstislaw Rostropowitsch lauscht und blättert die Noten um. All dies könnten die beiden Damen nun überstrapazieren, bis man den Samt flauschen hört und der Schmalz aus den Boxen trieft. Doch angenehmerweise ist dies nicht Warner-Nuzovas Ansatz. Beide Künstlerinnen pflegen eher einen zurückgenommenen, „handwerklich“ wirkenden Stil, der die durch ihren spätromantischen Anstrich eh bereits völlig ausgereizte Musik auf dieser CD aufs angenehmste aus den Sphären der klanglichen Entrückung zurück auf die Erde holt. Der Toningenieur unterstützt diesen Ansatz sinnvoll, in dem er die Aufnahmeumgebung im besten Sinne des Wortes „Kammermusik“ auch tatsächlich Kammer sein lässt und sie glücklicherweise nicht in Klangumgebungen á la Tropfsteinhöhle oder Kathedrale uminterpretiert, wie es bei manchen „großen“ Majorlabels der klassischen Musik leider nicht unüblich ist. Allerdings hätte der Gesamtmix einen Hauch mehr Brillanz vertragen können und wirkt überdies zum Teil etwas mittenlastig. Und so ist der Aufnahmeklang der einzige Aspekt an dieser Veröffentlichung, der nicht vollauf überzeugen kann. Alles andere ist mehr als eine Empfehlung wert – ich würde da schon eher von „Kaufbefehl“ sprechen… |
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