Igor Strawinsky - Sinfonie in C; Sinfonie in drei Sätzen, Oktett, "Dumbarton Oaks" (2009)
• • • • • • Igor Strawinsky - Zwei Sinfonien, Oktett, Konzert "Dumbarton Oaks"Robert Craft beleuchtet Strawinskijs Neoklassizismusvon Rainer Aschemeier • 1. Februar 2009 In schöner Regelmäßigkeit – wenngleich in für meinen Geschmack viel zu langen Zeitabständen – veröffentlicht das Naxos-Label tapfer die populären und weniger populären Orchesterwerke Igor Strawinskys. Was ist das Besondere daran? Naxos hat die Aufnahmen des Dirigenten Robert Craft wieder ausgegraben, die dieser in den 1990er Jahren mit verschiedenen Ensembles bei den Labels Music Masters (ein leider mittlerweile pleite gegangenes, wegen seiner audiophilen Aufnahmen bis heute legendäres US-Klassik-Label) sowie Koch/Schwann realisierte. Robert Craft – ich hatte es bereits in früheren Reviews zur „Robert Craft-Collection“ erwähnt – war Strawinskijs Schatten in den USA. Ab etwa 1948 war Craft nicht nur Strawinskys wichtigster und engster Mitarbeiter – nein, seine Kontakte zum wahrscheinlich einflussreichsten Komponisten der musikalischen Moderne neben Schönberg gingen viel weiter. Craft war Strawinskys Ghostwriter, schrieb für ihn die Skripte zu ganzen Vorlesungsreihen, dirigierte die meisten der späten Uraufführungen, als der Komponist selbst zu gebrechlich wurde, veröffentlichte mehrere Bücher unter dem Titel „Gespräche mit Strawinsky“, in denen er musiktheoretische Fragen mit dem Meister in Interview-Art erörterte. Es steht darüber hinaus fest, dass niemand geringerer als Robert Craft, der im US-Exil auch enge Kontakte zu Arnold Schönberg pflegte, Strawinsky schließlich zur seriellen Kompositionsweise überredete. Die CD eröffnet mit dem heiteren Oktett, welches Strawinsky-typisch für Bläser gesetzt ist. Spannend ist die instrumentale Besetzung, die insbesondere den tiefen Bläsern wie Fagott (doppelt besetzt!), Posaune und sogar Bass-Posaune eine wichtige Stellung einräumt. Das rund 13-minütige Stück gehört sicherlich zu den Gelegenheitswerken des komponierenden Kosmopoliten, beschwört durch seine interessante Besetzung jedoch höchst ungewöhnliche klangliche Effekte herauf. Es folgt das Stück, welches für mich eines der strahlenden Highlights in Strawinskys Gesamtschaffen ist: Das Konzert in Es mit dem Beinamen „Dumbarton Oaks“. Das Konzert, das von Strawinskij – ähnlich wie das etwas weniger bekannte „Concerto en re“ – nach barocken Vorbildern (vor allem Bachs „Brandenburgische Konzerte“) gestaltet wurde, gehört zum Schönsten, was der Komponist in seiner neoklassischen Phase geschaffen hat. Das Orchestra of St. Luke’s, das in der vorliegenden Reihe bisher im Überblick die weitaus besten Aufnahmen vorgelegt hat, liefert auch hier wieder eine makellose Leistung ab. Als erstes „Hauptwerk“ wird die Sinfonie in C präsentiert. Das Stück hatte einen langen Entstehungsprozess. Das Largo wurde bereits 1938 in der Schweiz begonnen, der dritte Satz schließlich erst im Sommer 1941 in den USA fertiggestellt. Das Werk ist von persönlichen Schicksalsschlägen im Leben des Komponisten beeinflusst (Strawinskys erste Frau verstarb 1938 an Tuberkulose, 1939 erkrankte seine Tochter an der gleichen Krankheit und überlebte das Leiden ebenfalls nicht, im gleichen Jahr erkrankte auch Strawinsky selbst an Tuberkulose, konnte jedoch kuriert werden). Es folgt einem umfassenden neoklassischen Ansatz, der sogar die typische Besetzung für das Orchester vorsieht, wie sie normalerweise bei Beethoven-Sinfonien üblich ist. Eine viersätzige Anlage und der missglückte Versuch (oder gewollte Anti-Versuch?) eines sinfonischen Allegros nach dem Sonatenhauptsatz-Prinzip sprechen eine deutliche Sprache. Der Versuch, moderne Tonsprache mit klassischen Formmustern zu verknüpfen wird von der Kritik durchaus diskursiv beurteilt. Mir persönlich erscheint die Sinfonie etwas zu „gewollt“ und künstlich konstruiert. Das Philharmonia Orchestra spielt unter Crafts Leitung nichtsdestoweniger grandios. Eines der Highlights der CD folgt mit der „Sinfonie in drei Sätzen“ aus den Jahren 1942-45. Das Werk gehört unter den Sinfonien Strawinskys neben der „Psalmensinfonie“ (s. Review an anderer Stelle) zu den spannendsten Werken des Komponisten im Bereich der Sinfonie-Gattung. Das Philharmonia Orchestra spielt auch hier großartig! Crafts Interpretation toppt alles, was ich bisher gehört habe. Wer bisher glaubte, dass Chailly, Ansermet oder Tilson-Thomas die richtige Wahl seien, wird überrascht sein, was Craft aus diesem Werk, das bei manchen Interpreten gern mal langweilig rüberkommt, an Möglichkeiten herauskitzelt. Aber das ist vielleicht kein Wunder: Schließlich bekam Robert Craft von Strawinsky einst das Autograph des zweiten Satzes geschenkt. |
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