Bob Wills And His Texas Playboys - For The Last TimeCountry Classics On Vinyl (I)von Frank Castenholz • 29. März 2007 Side 1 Side 2 Side 3 Side 4 „Well the honky-tonks in Texas were my natural second home Kunst des letzten Atems lässt sich schwerlich nach herkömmlichen Maßstäben beurteilen, lädt doch jede Zeile, jede Note dazu ein, nach ihrer Bedeutungsschwere vermessen zu werden. Der Hörer wird zu einer Anteilnahme gezwungen, der er allenfalls durch Zynismus, Kitsch-Alarmismus oder Verdammung der unvermeidlich tragikgetriebenen Produktvermarktung entkommen mag. Genre- und qualitätsübergreifend: Wer konnte sich bei erster Begegnung schon der trotzigen Grandezza von Freddie Mercury’s „The Show Must Go On“ entziehen, wer war nicht zumindest einige Augeblicke heimlich beklommen von Falco´s todesahnenden Zeilen in „Out Of The Dark“, wem insbesondere wird das Herz nicht schwer bei Johnny Cash´s von der American-Reihe würdig dokumentiertem Abschied auf Raten? Auch „For The Last Time“ ist – wie man schon angesichts des Titels vermuten mag – so ein Album, das sich herkömmlicher Bewertung entzieht, da es so von Geschichte(n) durchdrungen ist. Es begab sich nämlich im texanischen Winter des Jahres 1973, dass Bob Wills und seine altgediente Band, die Texas Playboys, erneut zusammen kamen, um vierzig Jahre nach ihrer Gründung ein letztes Album alten Geistes einzuspielen … Bob Wills war Geburtshelfer und zugleich eminenter Vertreter eines eigenen Crossover-Musikstils, dem Western Swing, einer tanzbaren Kombination von Folk & Fiddle Music mit Stilelementen des Jazz, insbesondere einem dominanten Dixieland Beat, Freiräumen für Improvisationen und der Einbindung von Bläsersätzen in die Arrangements – profaner ausgedrückt: „a fiddle band that played dance music“ (Leon McAuliffe). Und als wäre das noch nicht originell genug, erhielt der Sound der Texas Playboys noch ein ganz eigenes Gütezeichen: „When one of the boys (…) played a chorus or hit a sound I liked, I hollered “, erklärte Wills selbst seine unverwechselbaren Anfeuerungsrufe, die in Schriftform nur ungenügend mit “Aaa Haa!” und ähnlich unbeholfener Verbuchstabung wiedergegeben werden können. (Zur Veranschaulichung höre man sich „What Makes Bob Holler“ an, ein Song, den die Songwriter-Ikone und Wills-Langzeit-Kollaborateurin Cindy Walker extra anlässlich dieser Session schrieb.) Nach den Gründerzeiten des Western Swing, den sog. Tulsa years 1934 – 1942, die (nicht nur) Wills selbst als die größten seiner Karriere ansah und in der er mit seiner Idealbesetzung der „Texas Playboys“ spielte, kam es aufgrund des Eintritts der USA in den Zweiten Weltkrieg zum Bruch der Band. In Folge nahm Wills mit wechselnden Besetzungen, die auch Änderungen in Sound und Arrangement zur Folge hatten (z.B. durch Wegfall der Bläser), weiterhin Platten auf – und dies bis Ende der 40er Jahre auch weiterhin sehr erfolgreich. In den ersten ca. 15 Jahren seiner Karriere entstanden seine größten Hits, die sich, wie etwa „(New) San Antonio Rose“, „Right Or Wrong“, „Stay All Night (Stay A Little Longer)“ oder „Bubbles In My Beer“, schnell als unsterbliche Standards in das Country Songbook einschrieben. Erfolg, Finanzen und Gesundheit verschlechterten sich nach Ende der Goldenen Zeiten des Western Swing in den 50er Jahren, wobei hier auch Wills’ erhebliches Alkoholproblem eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben mochte. Bis zu seinem zweiten Herzinfarkt 1964 veröfentlichte er allerdings kontinuierlich Platten und ging auf Tour, schon um sich finanziell über Wasser zu halten. Die hochverdiente Anerkennung erfuhr er 1968 mit Aufnahme in die Country Music Hall Of Fame – wobei Wills selbst immer darauf bestand, er habe niemals “country“ sondern „western music” gespielt, und sich auch weder der Grand Ole Opry noch dem popnahen Nashville Sound nahe fühlte. 1970 löste Merle Haggard’s respekt- wie zuneigungsvolle Verneigung „A Tribute to the Best Damn Fiddle Player In The World (Or My Salute to Bob Wills)” dann gar ein veritables Western Swing-Revival aus. Von einem schweren Schlaganfall im Jahr 1969 erholte sich Wills zwar geistig nach und nach, blieb aber halbseitig gelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. 1973 schließlich sollte sich nun sein unbedingter Wunsch, noch einmal eine Aufnahmesession in großer Besetzung durchzuführen, unter der Regie von Produzent Tommy Allsup erfüllen. Nachdem die Band sich bereits am Vorabend in Bob Wills‘ Haus zu einer familiärer Jam Session getroffen hatte, war es am 3. Dezember schließlich soweit, Wills saß im Rollstuhl in der Mitte des Studios, die Musiker im Halbkreis um sich, und dirigierte deren Einsätze mit einem Nicken; wenn die Musik ihn besonders berührte, gab er sein Holler zum Besten, ein untrügliches Anzeichen, dass die Band „down in the groove“ war. Nach sechs Takes schließlich wurde er müde, verabschiedete sich herzlich von den Musikern und ließ sich von seiner Ehefrau nach Hause bringen … Dies war seine letzte Aufnahmesession, denn in der Nacht erlitt er einen weiteren Schlaganfall und kam bis zu seinem Tod am 13. Mai 1975 nicht mehr zu vollem Bewusstsein. Am nächsten Tag spielten die Texas Playboys bis spät in die Nacht die übrigen Tracks des Albums ein, mit Tränen in den Augen und in wachsender Gewissheit, dass dies tatsächlich „for the last time“ war (besonders bitter muss dies für Merle Haggard gewesen sein, der erst am zweiten Tag angereist war und somit doch keine gemeinsame Studiozeit mehr mit seinem großen Idol erlebte, immerhin aber bei drei Songs die Vocals beisteuern durfte). Bei aller gewichtigen Historie: Der ganze lange Text wäre nun doch vergebliche Mühe, wenn das Produkt dieser Sessions nicht hielte, was die Geschichte ihrer Entstehung verspricht. Die Aufnahmen können zwar vielleicht nicht ganz mit dem euphorisierenden Verve, der Frische und dem Druck der klassischen Jahre dienen, mit deren Charme aber allemal. Die eigentlich als tanzbare, lebensfrohe Unterhaltungsmusik mit leicht goutierbaren, romantisch-sentimentalen Texten konzipierten Songs erhalten zudem vor dem Hintergrund des feierlichen und zugleich tieftraurigen Anlasses einen ganz eigenen Charakter. Und die warme, lebendige Produktion des Albums, die die sessionbedingte Spontaneität und „one take“-Philosophie bestens spiegelt, tut ihr übriges dazu, dass Wills` letzte Aufnahmen zugleich zum denkbar würdigsten Tribute an ihn und sein Werk gerieten. Zum Technischen: „For The Last Time“ erschien als Doppel-LP mit 16-seitigem Essay des Wills-Biographen Charles Townsend, der die Geschichte der Sessions aus eigener Anschauung ausführlich beleuchtet. Für Connaisseure empfiehlt es sich, nach der US-Erstausgabe zu suchen; hier befinden sich die LPs in schmucken Hartpappe-Inlays, die in einer Pappbox lagern, und das Begleitheft wurde auf marmoriertes Papier gedruckt. Die mir ebenfalls bekannte deutsche Ausgabe kommt hingegen in einfachem Klappcover, das Inlay ist auf einfachem glatten Papier gedruckt und die LPs befinden sich in normalen Schutzhüllen. Klanglich habe ich hingegen keinen Unterschied ausgemacht. (Auf BobWills.com werden noch alte US-Ausgaben verkauft; in direktem Kontakt kann man bei Dwight Adair, dem rührigen Betreiber der Seite, auch nachfragen, um welche Auflage es sich konkret handelt, bevor man ordert.) |
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