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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Control

Anton Corbijn verfilmt das Leben von Ian Curtis (Joy Division)

von Frank Castenholz  •  30. Oktober 2007

Letzten Freitag Nacht habe ich im Actor’s Studio, einem äußerst charmant verkommenen Art House-Kino in der Brüsseler Innenstadt, meinen Film des Jahres 2007 gesehen. Ich bin ergriffen und erschlagen zugleich.


Kinostart in Deutschland: 10.01.2008

Einleitend sei bekannt, dass ich weder fanatischer Anhänger der Band noch Intimus der Biographie von Ian Curtis bin. Wenn ich diesen Film nun (Ende Oktober 2007 zugegebenermaßen etwas voreilig) als Jahresliebling ausweise, dann hat das folglich nichts mit voreingenommenem Fantum zu tun. Ich maße mir auch nicht an zu beurteilen, inwiefern die einzelnen Charaktere richtig und gerecht beleuchtet wurden. Das Drehbuch beruht auf den Erinnerungen von Curtis‘ Witwe Deborah. Dass der Film u.a. von ihr und Tony Wilson (Gründer des Factory Labels) co-produziert wurde und der Soundtrack von Curtis‘ ehemaligen Bandkollegen New Order stammt, zeigt jedenfalls, dass der Regisseur Corbijn das Vertrauen derer genoss, die Curtis am intensivsten erlebt haben.
Was ich sagen kann, ist dass mich der Film – ungeachtet der Themenwahl und Motivation – als Film auf mehreren Ebenen sehr beeindruckt hat.

Corbijn gelingt mit seinem Regie-Debüt „Control“ etwas, das ich gerade bei Filmbiographien für besonders hervorhebenswert erachte, nämlich ein (in diesem Fall tragisch kurzes) Musikerleben anhand von Schlüsselmomenten zu erzählen, zum Glück jedoch, ohne hierbei in erzählerische Hektik zu verfallen (um bloß jeden relevanten Moment abgehakt zu haben), es an Tiefe in der Figurenzeichnung vermissen zu lassen oder den Film als inkohärentes Patchwork zu gestalten. Die Inszenierung schafft es zudem bei aller teils schockierenden Intensität – etwa bei Curtis‘ epileptischen Anfällen -, einen respektvollen Abstand zu den Protagonisten zu halten; die Charaktere werden nicht psychoanalysiert, entblößt oder seziert, Corbijn verfällt niemals einem Deutungswahn, nichts suhlt sich in pseudodokumentarischem Echtheitssurrogat. Bei aller vorherrschenden künstlerischen Strenge und Bildästhetisierung ist das Werk andererseits auch nicht kalt oder gefühllos, gelegentlich gar humorvoll. Man nimmt als Zuschauer ohne Herzensschonung an allen Ängsten, Widersprüchen und Verfehlungen von Curtis teil, ohne ihn dabei letztlich verstehen zu können oder müssen. Die Rätsel bleiben intakt.

Auch das Geheimnis, wie es eigentlich zu der Musik, den Texten und insbesondere dem eigenständigen Klang von Joy Division kam, wie zum Sprung vom aggressiven Bunt des Punk hin zum getragenen, schwermütigen Düstersound, bleibt ungelüftet, von simplen Kausalitäten bleibt man verschont; zu erfahren ist allenfalls, dass Curtis Jugendzimmer-Fan von David Bowie war und Punk-Konzerte besuchte. Dafür nimmt man erstaunt zur Kenntnis, Curtis‘ Lieblingsfarbe war – blau, nicht schwarz, wer hätte das gedacht.

Die Musik für die Live-Show-Sequenzen wurde von den Schauspielern in erfreulich akkurater Weise neu eingespielt. Der Verzicht auf mit Originalaufnahmen von Joy Division unterlegte Liveszenen stellt sich, wie schon bei der Johnny Cash-Bio „Walk The Line“, als Gewinn an Glaubwürdigkeit dar. Die meist in würdiger Länge dargebotenen Songs sind durchaus gut geeignet, dem Joy Division-Zweifler oder -Ignoranten zu neuem Interesse zu verhelfen.

Die Schauspieler sind (fast) allesamt hervorragend, allen voran Sam Riley in der Hauptrolle – das Klischeelob, dass da ein absolut glaubhafter Mensch entsteht, der nicht gespielt wird, sondern „ist“, wäre hier nicht vermessen. Riley erreicht in seiner Darstellung eine Intensität, die den Zuschauer vom Anfang bis zum bittere Ende in eine emotionale Zange nimmt, so dass man tatsächlich bis zum vollständigen Verschwinden von Bild und Ton in den Sitz gedrückt verharrt; enstsprechendes gilt auch für Samantha Morton als Curtis‘ Ehefrau. Allenfalls die gewohnt knopfäugige Alexandra Maria Lara als Curtis‘ Liebschaft Annik Honore schien mir hier innerhalb eines für sie nicht passenden Umfelds zu agieren; aber ich will auch nicht unfair sein – wenn man sie aus früheren Rollen kennt, fällt es m.E. schwer, sie hier nicht als fremd zu empfinden, vielleicht auch, weil man ungewollt auf unwesentliche Details achtet („Wie wird wohl das Englisch einer rumänischstämmigen Deutschen klingen, die eine belgische Diplomatin spielt?“). Zugleich ist gerade diese Verlorenheit in der Welt einer Rockband auch in der Rolle von Annik angelegt, somit mag es wiederum passen.

Corbijn erzählt in strengen, nüchternen und zugleich poetischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die immer auf Höhe der Menschen, der Straßen und Erdgeschosse bleiben, nie in den Himmel oder die Ferne schweifen. Wenn hier von „Aufnahmen“ die Rede ist, dann ist das durchaus auch im Sinne von Fotographie zu verstehen, da der Film weitgehend auf ausschweifende Kameraschwenks und -fahrten verzichtet, die Personen werden gewissermaßen eingerahmt bzw. eingefangen, was ästhetisch schlüssig die thematisierten Emotionen spiegelt. Nur in der letzen Einstellung bricht Corbijn mit diesem Prinzip. Auf deren Schönheit und zugleich niederschmetternde Traurigkeit, die Hoffnungsschimmer und Hoffnungslosigkeit in einem verblüffend schlüssigen Bild bündelt, kann ich hier nur hinweisen, möchte sie aber nicht näher beschreiben; dies sollte jeder Zuschauer für sich entdecken.

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