Ottavia Maria Maceratini, Klavier und Lucas Brunnert, Violine spielten im November 2014 in München und am Tegernsee
von Ulrich Hermann • 5. Dezember 2014
Ottavia Maria Maceratini, Klavier und Lucas Brunnert, Violine spielen im November 2014 in München und am Tegernsee
PROGRAMM
L. v. Beethoven: Sonate für Klavier und Violine c-moll op. 30 Nr. 2 (1802)
F. P. Schubert: Sonatine a-moll für Violine und Klavier D 385 (1816)
F. Chopin: 1. Ballade g-moll op. 23 für Klavier solo (1831/35)
Ernest Bloch: Nuit éxotique für Violine und Klavier (1924)
J. H. Foulds: Persian Love Song für Klavier solo (1935)
B. Bartók: Melodia, adagio aus der Sonate für Violine solo (1944)
M. Weinberg: Sonatine op. 46 für Violine und Klavier (1949)
El Taquito (Milonga, arr. Juan José 2014)
Harald Sæverud: Elegie für Violine und Klavier (1912)
Zwei große junge Musiker geben ihr Duo-Debüt, und wir sind gespannt, ob sie gemeinsam den hochgespannten Erwartungen genügen können, die aufgrund ihrer Solodarbietungen an sie gestellt sind. Doch diese Erwartungen werden übertroffen, gleich beim ersten Auftritt. Ottavia Maria Maceratini, die im Februar 2015 mit dem Deutschen Sinfonie-Orchester in der Berliner Philharmonie das Klavierkonzert ‚Dynamic Triptych’ von John Foulds in deutscher Erstaufführung präsentieren wird, und der junge Bonner Geiger Lucas Brunnert, der in diesem Dezember seine Solodebüt-CD mit Ersteinspielungen deutscher Expressionisten wie Eduard Erdmann oder Heinz Schubert aufnimmt, sind zwei Ausnahmemusiker, die sich geradezu wie Gegensätze anziehen und darin zu einer Einheit von selten zu vernehmender Qualität verschmelzen.
Die beiden haben zusammen Musik entstehen lassen in all ihrer Größe, Mächtigkeit, Erhabenheit und Schönheit, wie ich sie bei der Kombination Violine-Klavier (der Flügel ganz geöffnet, wie ein Orchester gegenüber dem Geigensolisten!) weder für möglich gehalten, noch je gehört habe. Wobei vom expressivsten Fortississimo bis zu kaum vernehmbarem Pianississimo eine schier unglaubliche Bandbreite an Dynamik, Ausdruck und Zusammenspiel erlebbar wurde. Die Klangfarben waren überwältigend, und was mit das Schönste war: Die Geige klang nach Klavier, das Klavier nach Geige, falls Sie, liebe Leser, verstehen, was ich mit diesem Paradoxon aussagen möchte.
Der Bogen ihres Programms spannte sich von 1802, der Beethoven-Sonate, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Atemberaubend war nicht nur das weitgefächerte Programm, sondern eben gerade auch die Darbietung. Die beiden Künstler machten mit ihrem Spiel die ganze Kraft und Unmittelbarkeit eines leibhaftigen Konzerts erlebbar, die bis heute völlig unverbrauchte revolutionäre Energie, die man bei der doch ach so bekannt scheinenden Beethoven Sonate ebenso neu erleben konnte wie bei der Sonatine – wieso verniedlichen Komponisten ausgewachsene Sonaten zu „kleinen“ Sonatinen? – von Mieczyslaw Weinberg. In schon ideal zu nennender Innigkeit und modulatorischer Sensibilität entstand Schuberts a-moll-Sonatine, und mit mystischem Raunen eröffneten sich die schwankenden Räume von Ernest Blochs titelgebender, 1924 für Joseph Szigeti geschriebener ‚Nuit exotique’. Ottavia Maria Maceratinis Entfaltung der Chopin’schen Ballade g-moll war von so erstaunlicher Zartheit, Wildheit und überlegter Gestaltung, dass mir sofort A. B. Michelangelis überwältigende Einspielung dieses Werkes in den Sinn kam. Von Lucas Brunnert wünsche ich mir nicht nur den Adagio-Satz der Bartok-Solosonate für Violine – wunderbar mit den zartesten Nuancen gespielt, nein, erlebt – sondern die ganze Sonate, wohl eines der schönsten und wichtigsten Werke für Violine Solo des gesamten 20. Jahrhunderts.
Dass die Musik von John Herbert Foulds bei uns noch immer nicht angekommen ist, war nach der zeitentrückten Darstellung des ‚Persian Love Song’ durch Ottavia Maceratini nur noch unverständlicher. Es ist eine einfach hinreißende und mitnehmende Musik für den, der Ohren hat zu hören und ein Herz mitzufühlen, was dieser erste Komponist von übergreifender Musik zwischen Ost und West zu sagen hat.
Die Sonatine op. 46 von Mieczysław Weinberg bildete den Abschluss. Die Musik dieses bedeutenden jüdisch-polnischen, seit dem deutschen Überfall in der Sowjetunion wirkenden Komponisten gerät zunehmend in den Fokus des Publikums. In seiner Sonatine schwingen alle erdenklichen Einflüsse mit, sowjetrussische, jüdische, folkloristische und natürlich auch klassische. Wird „moderne“ Musik so gespielt, mit Herz und Leib und Seele, feinster Artikulation der Details und klarem Sinn für den bezwingenden Aufbau der Form, dann nimmt sie uns ganz unmittelbar in ihren Kreis mit, welch eine Beglückung!
So könnte ich noch seitenlang von jedem der aufgeführten Stücke „schwärmen“, beschränke mich aber auf die beiden Zugaben, die das begeisterte Publikum sich erklatschte: Ein temperamentvoller Tango „El Taquito“ und eine im Alter von nur 15 Jahren geschriebene Elegie des großen norwegischen Symphonikers Harald Saeverud (1897-1992), die einen wunderbaren Ausklang dieses berückenden Konzert-Abends boten.