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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Zwischen den Fronten

Die Kolumne: "Listening for the-listener": Christoph Schlüren - Folge XXI

von Christoph Schlüren  •  8. Oktober 2014

Der palästensisch-stämmige US-Amerikaner Mohammed Fairouz, der am 1. November 29 Jahre alt wird, zählt in den USA und England bereits zu den erfolgreichsten Komponisten unserer Zeit. Er studierte u. a. bei Gunther Schuller, György Ligeti, Halim El-Dabh und Richard Danielpour und entwickelte eine Tonsprache, die bis auf einige sehr dramatische Kulminationen durchgehend tonal und für jeden Hörer auf Anhieb fassbar ist. Nicht zuletzt aufgrund seiner ethnischen Herkunft ist es ihm ein zentrales Anliegen, die kulturellen Gräben zu überwinden und ein Zusammenleben in gegenseitigem Respekt und auf Augenhöhe, das heißt mit gleichen Rechten, als Kulturschaffender mit allen verfügbaren Mitteln zu fördern, insbesondere natürlich, was das Verhältnis von Israelis und Palästinensern betrifft.

Fairouz schreibt technisch brillant, also durchaus mit einer Virtuosität, die für hervorragende Musiker attraktiv ist und das spielerisch-musikantische, vitale Element nicht vermissen lässt, und seine Musik ist stets sehr sanglich. Das hat mit dem zu tun, was er als seine „Obsession für Text“ bezeichnete: Fairouz hat seit seiner Kindheit hunderte von Liedern, viele in Zyklen zusammengefasst, komponiert. In seinem Stil treffen Elemente orientalischer Skalen mit ihren Melismen, einfachen polyphonen Chorsatzes von rundem Wohlklang, minimalistische Gewebe, Ostinatoflächen und –steigerungen, Anklänge an Gustav Mahlers unstillbares Heim- und Fernweh und Leonard Bernstein, Gospel und levantische Gebetsintonationen, Klezmer- und andere Tanzformen und technische Mittel der jüngeren ‚Avantgarde’ aufeinander – alles verbunden zu einem spannenden, fast filmisch wirkenden Handlungsstrang. Er schrieb die in einem äpyptischen Dorf spielende Oper ‚Sulmeida’s Song’ und arbeitet derzeit an seiner Oper ‚Eichmann in Jerusalem’.

Das Finale seiner Ersten Symphonie trägt den Titel ‚Homage to a Belly Dancer’, seine Vierte Symphonie ‚In the Shadow of No Towers’ für Blasorchester wurde von Art Spiegelmans gleichnamiger Comic-Story inspiriert und beschäftigt sich mit dem Leben in den USA nach den Anschlägen von 9/11. Die Dritte Symphonie, ‚Poems and Prayers’, die hier von Sono Luminus sowohl auf Bluray-Disc als auf CD in Ersteinspielung vorgestellt wird, wurde vom ‚Northeastern University’s Middle East Center for Peace, Culture and Development’ in Auftrag gegeben und beinhaltet Vertonungen sowohl von Gebeten wie dem aramäischen Kaddish als auch von arabischen Dichtern wie Fadwa Tuqan und Mahnmoud Darwisch und dem israelischen Dichter Yehuda Amichai. Sie entstand 2010 und gelangte am 16. Februar 2012 in der Columbia University unter der Leitung von Yoon Jae Lee zur Uraufführung. Der Baritonsolist der Uraufführung, David Kravitz, hat auch bei hier vorgelegter Aufnahme aus Los Angeles wieder mitgewirkt.

Der Symphonie vorangestellt ist hier das einsätzige, zehnminütige Klarinettenkonzert ‚Tahrir’ von 2011, das für den Klezmerklarinettisten David Krakauer komponiert wurde (der auch erfolgreich als klassischer Solist tätig ist). Es gehört zu Fairouz meistgespielten Werken und greift natürlich den Klezmer-Tonfall auch im Orchester auf, über dessen wechselreicher Begleitung Krakauer seine wimmernden, fast sprechenden Linien spinnen kann. Wild dissonant abstürzende Kaskaden kontrastieren zum zwischen elegischer Klage und ostinat tänzerischem Grundimpetus changierenden Ton der kurzweiligen Komposition, die unmittelbar an die Emotionen des Hörers rührt.
Emotional überwältigt waren viele Kommentatoren, die der Aufführung der Dritten Symphonie beiwohnten. Immer wieder kehrt zwischen den vier Sätzen, die sich in sechs Abteilungen gliedern, das wehmütige ‚Oseh Shalom’ zurück, und im Grunde schrieb Fairouz hier ein an der aktuellen Tragödie in Palästina ausgerichtetes Drama in der Nachfolge von Symbolwerken der ansteckenden Trauer und Schwermut wie Gustav Mahlers ‚Lied von der Erde’ oder Bernsteins Kaddish-Symphonie. Das großangelegte Finale, ‚Memorial Day of the War Dead’, umspannt allein fast die Hälfte der einstündigen Symphonie. Ich sehe dieses Werk weniger als eine Symphonie, denn der Zusammenhang wird nicht aus der themenimmanenten Entwicklung generiert, sondern aus der veränderten Wiederkehr besonders einprägsamer Abschnitte, und von der Psychologie der Form her handelt es sich eher um eine Kantate mit starker Beteiligung von Orchester und Instrumentalsolisten.

Besonders zauberhaft ist die filigrane ‚Night Fantasy’, wo Nicole Sauder als feinfühlige Violinsolistin in Dialog mit dem Gesang tritt. Gewaltige Steigerungen auf der Basis von rhythmischen und motivischen Wiederholungen und dramatische Wendepunkte bilden den notwendigen Kontrast zum melodisch einfachen Trauertonfall, der in den Solopartien eher orientalisch modal, in den Chorsätzen eher westlich polyphon geprägt ist. Die Aufnahme, an fünf Tagen im Dezember vergangenen Jahres in des Royce Hall der University of California, Los Angeles, entstanden, gibt das räumliche Spektrum des großen Apparats erstaunlich natürlich und klar wieder. Solisten (auch Tenor James Callon im zweiten Satz ‚Minyan’), Chöre und Orchester agieren auf professionell hohem und ausdrucksintensivem Niveau unter der Leitung von Neal Stulberg als Mittler dieser verletzlichen musikalischen Botschaft zwischen den verhärteten Fronten, wo auf der einen Seite die Demut und Herzlichkeit, auf der anderen Seite die Vernunft Mangelware ist.

Wir dürfen davon ausgehen, dass Mohammed Fairouz bald auch hierzulande als von hohem Ethos getragene, allgemeinverständliche Stimme unter den jungen Komponisten unserer Zeit verstärkt wahrgenommen werden wird, und ich bin gespannt, wohin sich sein Schaffen – gerade auch in symphonischer Hinsicht – künftig entwickeln wird. Wird es ihm gelingen, die verschiedenen Einflüsse zu einem unverkennbaren Personalstil zu bündeln? Die Anlagen dazu könnten vorhanden sein. Es ist eine herausfordernde Reise, und wir wünschen bei seiner unbestreitbaren Begabung, dass der rasante Erfolg für ihn mehr einen fortwährenden Ansporn als eine Verführung darstellt.
——-CD-Details:

Mohammed Fairouz: Poems & Prayers
Tahrir für Klarinette und Orchester (2011), 3. Symphonie ‚Poems and Prayers’ für Mezzosopran, Bariton, gemischten Chor und Orchester (2010)
David Krakauer (Klarinette), Sasha Cooke (Mezzosopran), David Kravitz (Bariton), UCLA Chorale & University Chorus, UCLA Philharmonia, Neal Stulberg

Label: Sono Luminus
Blue-ray Disc & CD DSL 92177
Dauer: 70’30“
EAN: 053479217721

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