Im BannUlrich Hermann über das München-Debüt der phänomenalen US-Pianistin Beth Levinvon Ulrich Hermann • 30. September 2014
Beth Levin Robert Schumann (1810-1856) Franz Schubert (1797-1828) Wenn dieses hohle Bambusrohr nun eine Musikerin ist…? Dann kann der Glücksfall eintreten wie am Konzert-Abend der amerikanischen Pianistin Beth Levin – in Deutschland leider noch immer fast unbekannt; im Gegensatz dazu in Amerika eine anerkannte „Größe“! Beth Levin zog mit „ihrer“ Musik den diesmal fast vollständig gefüllten Saal im Münchner Freien Musikzentrum in einen bewegenden und intensiven Bann. Normalerweise erscheinen die Stücke der „Kreisleriana“ in vielen Aufnahmen als Aneinanderreihung typisch schumannesker Klangkompositionen, oft chaotisch wild und die Möglichkeiten des modernen Flügels rücksichtslos – vor allem in Bezug auf die Lautstärke – ausnutzend. Man weiß vielleicht als gebildeter Zeitgenosse noch etwas von der Verwandtschaft zu E.T.A. Hoffmanns verrücktem Kapellmeister „Kreisler“, aber damit hat sichs dann auch. Natürlich erscheinen in diesen Klavierpoesien auch solche Aspekte, aber die ganze Bandbreite seines inneren und seines äußeren Wesens breitet Schumann hier vor uns aus. In raffinierten rhythmischen und melodischen Strukturen, oft in extremen Laut- oder auch Leise-Stärken entsteht vor unseren Ohren ein musikalischer Kosmos, der harmonisch in oft überraschendster Weise die ganze Chromatik der damaligen Harmonie-Möglichkeiten aufzeigt. Beth Levin schreckte auch vor den ungeheuerlichsten Kraft- und Energieballungen nicht zurück, sie war eben “wie das besagte Bambusrohr“, durch das sie diese unglaubliche Musik wie einen gewaltigen Sturm oder wie einen linden Zephir-Hauch gehen ließ. Neben auftrumpfenden Fortissimi stehen bezaubernde melodische Klänge, wie sie so nur Schumann in seinen Kompositionen entstehen lassen konnte – man denke nur an solch ein Lied wie „Mondnacht“, das zwei Jahre später entstand. Scheinbar konnte der Gegensatz zum folgenden Stück nicht größer sein. „Versione“ fängt mit der denkbar einfachsten Art an, nämlich mit einer zweimaligen Rufterz („Kuckuck), es endet mit einer Umkehrung, nämlich mit einer aufsteigenden großen Terz. Dazwischen aber entfaltet sich eine freischwebende „fliegende“ Klanglichkeit und Tonalität, die Eliassons „Markenzeichen“ seit der Entdeckung seiner eigenen Klangsprache um das Jahr 1971 ist. Nach einer Pause dann Schuberts c-Moll-Sonate. Er schrieb sie im September 1828. Allerdings wurde sie erst im Jahr 1838 gedruckt, also im selben Jahr, in dem Schumann seine „Kreisleriana“ komponierte. Er hat sie also nie selbst gehört, außer in seinem Inneren. Hoffentlich hat er sie heute Abend aus seiner Wolke 7 gehört, denn diese Realisation seiner Sonate hätte ihm sicherlich größtes Vergnügen bereitet. Was damals auf den derzeitigen Klavieren oder Flügeln eben überhaupt nicht möglich war, erlaubt ein heutiger Yamaha-Flügel, und auf einem solchen sehr guten Instrument fand der Abend statt. Es ist allerdings dennoch erstaunlich, wie kraftvoll einerseits und wie zartfühlend auf der anderen Seite Beth Levin die c-Moll-Sonate von Schubert unter ihren Händen entstehen ließ. In diesem „Kosmos“ ist – wie auch in Schumanns Komposition – alles vertreten, von der leisesten, kindlichsten anrührenden Melodie bis zum wildesten Ausbruch, wie man ihn bei „Schwammerl“ eben eigentlich nicht erwartet, und wie ihn andere Pianisten selten riskieren. Wie bewegend dann doch diese ach so „klassische“ Musik sein kann, wie immer wieder überraschend und unerhört neu, eben absolute Gegenwart, kein verstaubtes „Gestern“. In den vier Sätzen dieser Sonate ist natürlich der ganze Schubert vertreten mit immer wieder unerwarteten Abstürzen, Pausen, Tonartenwechseln, Modulationen, wie sie so vor ihm undenkbar und nie gehört waren. Im letzten Rondo-Satz ist etwas zu spüren von jener „himmlischen Länge“, die Schumann als eines der Charakteristika in Schuberts Musik hervorhob. Immer aufs Neue hebt die Komposition an, als wollte Schubert eben noch nicht aufhören: „Verweile doch, du bist so schön!“… Als nach dieser selbstlosen und ganz und gar uneitlen Darbietung und Beglückung das Publikum in Standing Ovations ausbricht, nimmt Beth Levin diesen Beifall gelassen dankend entgegen. Wir alle haben einen großen Abend erleben dürfen, der Frau Musica wieder einmal so recht die Ehre gegeben hat, die ihr gebührt. |
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