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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Beschwörung einer untergegangenen Epoche

Die Kolumne: "Listening for the-listener": Christoph Schlüren - Folge XIX

von Christoph Schlüren  •  16. September 2014

Nachdem er als Mitgründer der Institution 1924 die Leitung des Amsterdamer Konservatoriums niedergelegt hatte, schrieb der gebürtige Leipziger (und Sohn des niederländischen Geigers Engelbert Röntgen) Julius Röntgen (1855-1932) innerhalb seiner letzten acht Lebensjahre ca. 230 Werke (sein Gesamtschaffen umfasst mehr als 650 Werke, darunter einige neuerdings primär dank der Aktivität des Osnabrücker Labels cpo zu späten Ehren kommende Symphonien) – ein unglaublicher Indian Summer eines Pensionisten, der bezüglich tonsetzerischer Qualität und nicht versiegender romantischer Melodienfindung keine Zweifel zulässt. Röntgen, Komponist seit dem Alter von acht Jahren, einst Violinschüler von Ferdinand David und Kompositionsstudent von Carl Reinecke und Franz Lachner, wirkte seit 1877 in Amsterdam und spielte in den späten Jahren neben dem Klavier vornehmlich Bratsche, so auch in den hier vorliegenden Werken, die für den häuslichen Gebrauch entstanden und unveröffentlicht blieben. Sie sind hier allesamt in Ersteinspielung veröffentlicht.

Den entscheidendsten Einfluss übte Johannes Brahms auf ihn aus, dem er 1874 erstmals persönlich begegnet war. Später war Röntgen außerdem eng befreundet mit Edvard Grieg (er fungierte sogar als dessen Nachlassverwalter und schrieb eine Grieg-Biographie), Carl Nielsen und Percy Grainger, und spielte als Pianist häufig mit Joseph Joachim, Pablo Casals, Carl Flesch und Bronislaw Huberman zusammen. Seine Musiksprache ist in der Tat sehr stark von Brahms geprägt, sowohl was die Melodiebildung und deren kontrapunktische Behandlung betrifft, als auch – unter Einbeziehung jüngerer tonsprachlicher Erweiterungen, die er in meist sehr behutsamer Weise einbrachte – in der klar kadenzierenden Harmonik und mit dezentem Humor angereicherten Melancholie. Die vier Streichtrios, die seine letzten Beiträge zur Gattung darstellen, lassen uns quasi bei einem Meister über die Schulter schauen – sie sind unambitioniert, kunstreich und gehaltvoll.

Mit Brahms dürfen wir ihn nicht messen – oft mag man zu Beginn eines Satzes an das große Vorbild denken, doch eine Dringlichkeit und stets unvorhersagbar singuläre Poesie wie bei dem Hamburger Meister zu erwarten, würde letztlich doch enttäuschen. Dies mindert nicht den Wert dieser teils sehr symphonische gebauten Kleinode, die mit unbestechlichem Geschmack und intrikater Faktur faszinieren und teils auch architektonisch recht imposantes Ausmaß erreichen (Fugato-Finale des c-moll-Trios). Am besten gefällt mir das 16. und letzte Trio von 1930, das mit sanfter Macht noch einmal die Geister einer untergegangenen Epoche beschwört.

Die Aufführungen des Offenburger Streichtrios bezeugen Hingabe und detaillierte Kenntnis der Werke – hier sind Musiker aus Überzeugung am Werk, die wissen, welche Juwelen sie zu Gehör bringen. Der vielstimmige Satz ist in seinem Wechselspiel von Haupt- und Nebenstimmen verstanden, die charakteristische Tonsprache ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Von durchweg makelloser Intonation zu sprechen, wäre zwar übertrieben, doch auch technisch agieren die drei Protagonisten ansprechend. Sehr hilfreich in seinem übersichtlichen Informationsreichtum und Engagement ist zudem der Booklettext von Cellist Martin Merker. Insgesamt eine sehr solide und verdienstreiche Leistung.

Julius Röntgen: Streichtrios Nr. 13-16 (1925-30)
13. Streichtrio A-Dur (1925), 14. Streichtrio c-moll (1928), 15. Streichtrio cis-moll (1929), 16. Streichtrio cis-moll (1930)
The Offenburg String Trio (Frank Schilli, Vl.; Rolf Schilli, Va.; Martin Merker, Vc.)

Naxos CD 8.573384
Dauer: 73’07“
EAN: 747313338474

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