Schumann, Rattle und die zweifelhafte Klasse des deutschen FeuilletonsDer herausragende neue Schumann-Zyklus der Berliner Philharmoniker bietet beste Interpretationspraxis – ...und einen vielsagenden Blick in die Untiefen der deutschen Musikkritikvon Rainer Aschemeier • 1. Juli 2014 Nur selten beginne ich meine Rezensionen mit Zitaten aus Texten anderer. Hier aber liegt die Sache anders. In diesem Sinne also ein Zitat aus einer Rezension zu der neuen Schumann-Edition der Berliner Philharmoniker, die auch wir hier zu besprechen gedenken: Rhythmisch gefestigt, entsteht der Eindruck eines reellen, knusprigen Bratens – nicht unbedingt eines Satansbratens, wie ich gleich hinzufügen möchte. Na, wie finden Sie das? In diesem Sinne: Sollten Sie mal wieder darüber nachgrübeln, warum beim Deutschen Schallplattenpreis die Auswahl so ist, wie sie ist, denken Sie an den „saftigen Braten“ Schumann – ...und Sie werden verstehen. Lust auf ein weiteres Zitat aus o.g. Rezension? Bitteschön: Auf dem porzellanfarbenen Leinen-Cover ist eine merkwürdig hinternförmige Vase zu sehen, ein Geschirr-Gesäß, auf dem sich tatooähnlich florale Muster ranken. Es ist, mit Verlaub, das hässlichste und auch das indirekt anzüglichste Cover des Jahres! Also schon wieder so eine ernstzunehmende Meinung, bei der man deutlich merkt, dass der Rezensent des rbb sich leider so sehr über Cover und Verpackung aufregen musste, dass er in der Musik nurmehr Braten heraushören konnte. Wahrscheinlich schrieb er seine CD-Besprechung kurz vor der Mittagspause. Wobei man sich fragt, wie man drauf sein muss, um in Plattencovern mit Porzallanvasen Gesäße zu erkennen. Das gibt zu denken über den Zustand der deutschen Plattenkritik. Denn wir schauen in ein anderes Medium, den Berliner Tagesspiegel. Auch dort konzertierte Verpackungsaufregung: Während Audiophile, zwischen Datenformaten und Surround-Sound wechselnd, ihre Hifi-Anlage ausfahren können, haben diejenigen das Nachsehen, die bei einem Leineneinband noch an Bücher denken. Zwar gibt es 50 Seiten Booklet auf edlem Papier, doch zu lesen ist darauf nicht allzu viel (das aber zweisprachig). Die Botschaft ist deutlich: Die Philharmoniker wollen in allen medialen Kanälen auf der Höhe der Zeit präsent sein, aber nicht in den Verdacht geraten, dass Musikgenuss auch eine intellektuelle Herausforderung, ja Lust sein kann. Stattdessen gibt es seitenweise Ansichten von Porzellanvasen eines Berliner Traditionshauses, die als bauchige Models das Erscheinungsbild der Philharmoniker-Edition prägen. Sicher kommen auch sie noch auf den Markt, um das Shop-Angebot preislich nach oben abzusichern. Über die musikalische Seite dieser Produktion verliert der Rezensent und Redaktionsleiter für die Segmente „Ticket & Spielzeit“ des Tagesspiegels in seiner gesamten CD-Besprechung übrigens ganze vier Sätze. Wow! Also, gut. Vielleicht sind das Einzelfälle. Schauen wir mal in die Tageszeitung „Die Welt“. Dort wird – durchaus sinnfällig – Rattles neuer Schumann-Zyklus mit der Schumann-Sinfoniengesamtaufnahme der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung des ehemaligen „Berliner Philharmonikers“ Karlheinz Steffens verglichen, über den auch wir kürzlich schon geschrieben hatten. Er glättet bisweilen, wo die Berliner immer auf der Suche sind nach dem Visionär Schumann, der bisweilen aber doch nur ein schlechter, sperriger Rhetoriker war. Rattle bringt die Musik oft zum Stocken, überanalysiert, und dann fällt das Ganze wie ein Soufflé zusammen. Aber man hat ja immer noch die schöne Kehrseite auf dem Cover. Also auch hier: Küche und Hintern – wenigsten ausgeschmückt mit ein paar blumigen Bonmots, die wohl – einmal mehr – das alte Klischee von Schumann als schlechtem Instrumentierer und von Rattle als unentschlossenem Dirigenten rechtfertigen sollen. Aber „Die Zeit“, die muss es doch wohl richten. Oh, leider nein. Denn die Zeit ist so ziemlich das einzige kulturaffine Presseorgan, denen die erste Veröffentlichung der Berliner Philharmoniker auf ihrem eigenen Label tatsächlich gar keine Erwähnung wert ist. Aber nein, da ist ja auch noch „Der Spiegel“. Nun gut, spätestens seit jene Zeitschrift ein Interview mit Simon Rattle mit der Headline „Auspuff, Brustwarze, Sehnsucht“ übertitelte, war ja irgendwie klar, das von dieser Adresse nicht viel zu erwarten sein würde. Nehmen wir also die Sache selbst in die Hand. Es kommt, liebe Leser, ein Novum: Eine Rezension zu der neuen Schumann-Gesamteinspielung der Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle, in der es statt um Vasenpos und saftige Braten tatsächlich um Musik gehen wird! Wer Rattles eher mediokre Zyklen der Sinfonien Beethovens (mit den Wiener Philharmonikern) und Brahms‘ (Berliner Philharmoniker) kennt und darüber hinaus noch die unausgegorene Schubert-Neunte des Briten gehört hat, der sah durchaus mit unguter Vorahnung einem Schumann-Zyklus der Berliner Philharmoniker entgegen. Doch diese Bedenken sind ungerechtfertigt. Rattle erweist sich als bestechend vitaler und im Übrigen erfreulich notengetreuer Interpret, der Schumanns Partituren genauer nimmt, als viele andere. Rattle hat den Streichern der Berliner ferner eine Akkuratesse und Leichtigkeit verordnet, die man woanders nur selten so stringent hört (freilich auch deshalb, weil die wenigsten Orchester rein qualitativ dazu überhaupt in der Lage sind). Rattle schippert damit einerseits in ähnlich pathosfreien Gewässern wie Yannick Nezét-Seguin mit seinem ebenfalls noch ganz frischen Zyklus auf Deutsche Grammophon, ohne jedoch dessen Manierismen zu übernehmen. Rattle leidet bei seiner Schumann-Lesart aus all diesen Gründen nicht, wie viele seiner Kritiker ihm vorhalten, unter fortgeschrittener „Unentschiedenheit“, sondern Rattle trifft – eigentlich als einer von nur ganz wenigen Dirigenten überhaupt – den Ton dieser Musik: Einer Musik im Übergang zwischen Romantik und Moderne, der Musik eines manischen, eines zerrissenen Schöpfergeistes. Bei dieser Einspielung hat man endlich einmal das Gefühl, dass der Komponist der Klavierwerke wie „Kreisleriana“ oder „Waldszenen“, tatsächlich derselbe ist, der auch diese Sinfonien geschrieben hat. Rattle und die Berliner schaffen also etwas, was eigentlich selbstverständlich sein sollte und sich doch allgemein als ewiges Problem erweist: Sie schaffen es, Schumanns Sinfoniewerk als Teil seines Gesamtschaffens zu sehen und lassen sich dabei weder von subjektiven Manierismen ablenken noch von romantischer Gefühlsduselei in die Irre führen. Diesen nicht weniger als grandiosen Neuaufnahmen hört man an (und man kann es übrigens auch in den Noten nachlesen), dass hier ein höchst akkurates Partiturstudium betrieben wurde, und dass dieses Partiturstudium auch zu einer außerordentlich kunstvollen und fein ausgearbeiteten Umsetzung und Ausbalancierung mit dem Orchester geführt hat. Einem Orchester übrigens, das auf dieser CD zum ersten Mal seit langer Zeit wieder beweist, dass es immer noch das vielleichte beste in Europa ist. Abschließend kann ich es mir dann doch nicht verkneifen: Ja, auch mich ärgert der Verpackungswahnsinn dieser Box. Leinen, Metall, Magnete, ein Format, das sich tapfer sowohl jedem CD-Schrank als auch jedem Buchregal verweigert: Das alles ist nicht toll, nicht schick, nicht nötig. Es ist einfach nur ärgerlich und lässt dieses Set mit seinem Protzgehabe zu einem Nischenprodukt für „Elitekäufer“ werden, wo doch diese hervorragende Gesamteinspielung eine sein sollte, die sich jeder leisten kann, damit die herausragende Klasse der Berliner unter Rattle wieder in alle Wohnzimmer einzieht und nicht nur in die, die eh schon alles haben. Fazit: Während die Musik hier besser kaum interpretiert sein könnte, sollte sich das deutsche Feuilleton zu weiten Teilen schämen (es gab auch lesenswerte Rezensionen zu dieser Box, nur leider wenige) und die Labelmacher in Berlin Lehren aus den Editionsprojekten anderer großer Orchester ziehen. Klassikliebhaber werden den Fünfziger, den sie für diese Box berappen müssen, womöglich zunächst nicht gern zahlen, doch ihnen winkt ein begeisternder Schumann-Zyklus, der das Zeug hat, einen ein Leben lang zu begleiten. Und das ist das Geld doch wert! |
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