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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

150 Jahre jung und ! W I L D !

Matinée zum 150-jährigen Bestehen des Symphonieorchesters "Wilde Gungl" am Sonntag, 18. Mai 2014 um 11 Uhr im Prinzregententheater München

von Ulrich Hermann  •  21. Mai 2014


Alle Fotos auf dieser Seite: ©Matthias Hallensleben

Wenn ein sogenanntes „Amateur-Orchester“ sich zum 150. Geburtstag an solch ein Programm „wagt“, wie es an dem Abend (über den hier zu berichten sein wird) zur Aufführung kam, kann von „Amateuren“ im Sinne von „mittelmäßig“ keine Rede mehr sein – eher schon von amare = lieben.
Das heißt also, dass die Musikerinnen und Musiker neben ihrem Beruf eben noch genügend Zeit, Lust und Kraft aufbringen, sich mit liebendem Enthusiasmus dem Einstudieren und Aufführen der Musik zu widmen.

Das wusste sicher auch Josef Gung’l (1809-89), der in einer ganzen Reihe von Städten in Deutschland, u.a. in Berlin, München und Reichenhall, solche Liebhaber-Orchester ins Leben rief und leitete. Im Zeitalter der CD ist soeben eine Scheibe mit seinen Werken – eine Auswahl aus immerhin 436 Stücken, meist Tänzen wie Walzer, Polka, Galopp und Ähnliches – erschienen, so dass man sich auch vom Komponisten Josef Gung’l (so schrieb er sich selbst) ein Bild machen kann. (Meine Rezension dazu siehe hier).

Das Konzert im voll besetzten Prinzregententheater – dabei viele Kinder, für manche sicherlich die erste Begegnung mit solch einem großen „Klangkörper“ – begann mit Strauß’ berühmtem Walzer „An der schönen blauen Donau“, ein sehr geeignetes Stück zu Beginn, was dem Orchester und seinem Dirigenten Jaroslav Opela den richtigen schwungvollen Einstieg bot. Vom Moderator Armin Rosenbach – der auf sehr informative und ansprechende Weise durch das Programm führte – erfuhren wir vorab, dass dieser Titel nichts mit der Donau bei Wien zu tun hat, sondern mit einem kleinen ungarischen Dörfchen.

Aber schon beim zweiten Stück verließen Dirigent und Orchester eingefahrene Wege und spielten ein Stück des bei uns selten zu hörenden russischen Komponisten Anatolij Ljadov, der sein Leben fast ausschließlich in St. Petersburg verbrachte, selber Schüler von Rimsky-Korsakow war, später Lehrer u. a. von Sergej Prokofjeff wurde.


„Gebt mir ein Märchen, eine Nixe, einen Geist oder irgendetwas Geheimnisvolles, dann bin ich in meinem Element!“, soll er gesagt haben zu seinen Kompositionen. Auch sein Opus 62, „Der verzauberte See“ ist solch ein magisches Musik-Erlebnis, das vom Orchester mit erlesener Delikatesse dargeboten wurde und eine echte Entdeckung war. Die teilweise fast an Debussy erinnernde Klanglichkeit zauberte eine ganz betörende Stimmung in den Saal, der ja doch Münchens schönster Konzertraum ist.

Für einen Dirigenten, der in Mähren geboren wurde, ist Smetanas Musik geradezu ein Muss, daher hörten wir als nächstes Stück vor der Pause aus dem Zyklus „Mein Vaterland“ – (Ma vlast – darinnen die bekannte „Moldau“) den Teil „Aus Böhmens Hain und Flur“. Das beginnt furios mit einem weiten Blick über die böhmische Landschaft, aber mehr bei Gewitterstimmung denn bei sanftem Sonnenschein. Es folgt ein vertracktes Fugato, das durch alle Streicherstimmen wandert, bevor die Bläser wieder die mehr folkloristische Sprache ertönen lassen. Mit einer Reihe von Tänzen verschiedenster Art klingt das symphonische Gedicht aus. Mit diesen drei Stücken hatte sich das Orchester vorgestellt, und man war gespannt auf das Klavierkonzert von Schumann im zweiten Teil, zu dem sich ja auch als Solist der junge, zwanzigjährige Amadeus Wiesensee gesellte. Würde das Orchester diese Herausforderung bestehen, die darin liegt, diesen Liebesbeweis von Schumann an seine geliebte Clara – er schrieb es nach ihrer Hochzeit 1841-1845 – adäquat zu unterstützen und zu begleiten?

Nach einer kurzen Einführung auch bezüglich des Solisten betrat Amadeus Wiesensee die Bühne, setzte sich an den Flügel und nach einer kurzen intensiven Konzentrationsphase begann das Konzert mit jener bekannten a-moll-Akkordfolge. Wie sich dann der erste Satz, der ja Schumann-typisch aus verschiedenen Teilen in unterschiedlichen Zeitmaßen besteht, entfaltete, war absolut faszinierend. Man meinte beinahe, bei einer allerersten Aufführung dieses Stückes zuzuhören, Intensität und Zusammenspiel von Orchester und Solisten waren glänzend, wobei die Klarinettistin und das Klavier in einem wunderschönen Dialog sich abwechselten.

Natürlich war dieses Konzert der Höhepunkt des Programms. Auch die anderen beiden Sätze – der zweite erstaunlich kurz und prägnant, allerdings wunderbar melodiös – gelangen. Wer natürlich einen technisch makellosen Vortrag nicht nur des Solisten erwartet hatte, wäre besser zu Hause geblieben und hätte sich eine CD aufgelegt, bei der alle Fehler bei der Aufnahme ausgebügelt werden.
Vor allem im letzten – schnellen, rhythmisch herausfordernden – Allegro vivace kam das Orchester manches Mal an seine Grenzen, Solist und Begleiter schienen sich nicht immer hundertprozentig einig in ihren Tempo-Vorstellungen, der Dirigent, Jaroslav Opela, der die „Wilde Gungl“ seit 40 Jahren leitet, musste all sein Können aufbieten, um das Konzert zu gelungenem Abschluss zu führen.

Aber, das ist ja gerade das Spannende an solch einem Live-Konzert: dass das Entstehen der Musik und das Risiko, was immer auch mitspielt, das eigentliche Ereignis ist.

Und leider sind wir durch die angebliche Perfektion der Musikindustrie schon so weit weg vom Wesen der Musik – die ja eine Kunst in der Zeit ist, und ohne ihrer wahren Lebendigkeit beraubt zu werden nicht festgehalten werden kann – dass solch ein leibhaftiges Konzert, wie wir es an diesem Sonntag Morgen im Prinzregenten-Theater erleben durften, stets etwas Einzigartiges darstellt. Nach dem donnernden Applaus für Amadeus Wiesensee und das Orchester mit seinem Dirigenten Jaroslav Opela spielte der junge Musiker mit der ihm eigenen liebevollsten Gelassenheit als Zugabe noch Schumanns „Romanze“ op.28 Nr. 2. Atemberaubend die Sensibilität, mit der Amadeus Wiesensee diese Stück erblühen ließ.

Dass nach solch einem Höhepunkt ein leichteres Stück das Konzert abschließen würde, war klar. In der „Karneval-Ouvertüre“ Op.92 von Antonín Dvořak waren Orchester und Dirigent ganz in ihrem Element. In dem dreiteiligen Bravourstück – Allegro – Andante con moto – Allegro – spielten alle Musiker noch einmal ihr liebevollstes Musikertum aus und brachten ein gelungenes Festkonzert zum 150-jährigen Bestehen dieses seit den Zeiten eines jungen Richard Strauss auch über die Region hinaus legendären Orchestervereins zu einem sehr erfolgreichen Abschluss, was sich im begeisterten, minutenlangen Beifall des Publikums äußerte.

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