Flammendes Plädoyer für die Unsterblichkeit der BarockmusikDie Kolumne: "Listening for the-listener": Christoph Schlüren - Folge XVIIvon Christoph Schlüren • 4. April 2014 Die US-amerikanische Geigenvirtuosin Rachel Barton Pine ist mir in den letzten Jahren aufgefallen als eine der feinsten und auch technisch makellosesten Musikerinnen unserer Zeit, die bei ihrem Chicagoer Stammlabel Çedille Records außerdem einen ausgesprochen intelligenten Sinn für Kopplungen bewies: das Beethoven-Konzert zusammen mit seinem nicht allzu inspirierten formalen Vorbildwerk von Clement (mit José Serebrier als Dirigent) und das Brahms-Konzert mit demjenigen von Joseph Joachim. Zuletzt schenkte sie uns eine wundervoll kantable Einspielung der Konzerte von Mendelssohn und Schumann. Nun also zieht sie auf vier zwischen 2007 und 2012 erschienenen CDs, die in einer Box unter dem Titel ‚Grand Tour’ zusammengefasst wurden, Bilanz ihrer Arbeit mit dem Trio Settecento, also dem Gambisten und Cellisten John Mark Rozendaal und dem Cembalisten und Organisten David Schrader – es versteht sich sozusagen von selbst, dass auch diese beiden hochkarätige, ausgesprochen feinfühlige und stilsichere Meister ihres Instruments sind. Das Trio hat sich in vielen Jahren einen Zugang zu einer historisch informierten Spielpraxis erarbeitet, der sich in wesentlichen Punkten abhebt vom dogmatisch konditionierten Mainstream der meisten Kollegen: keine idiotische Überbetonung der schweren Taktzeiten (was besonders unmusikalische Zeitgenossen für ein Merkmal ‚tänzerischer’ Qualität halten – wäre dem so, so wäre der ganze Jazz, die ganze orientalische Musik mit der von der Taktschwere emanzipierten melodischen Energie, mit der Hervorhebung des Synkopischen „untänzerisch“, doch das Gegenteil ist der Fall, die Betonung der schweren Taktzeiten bricht den melodischen Fluss, zerstört die harmonische Korrelation, macht die Musik kurzatmig und reduziert sie auf standardisierte Floskeln ohne individuelle Züge); keine unnötig oder nachlässig verkürzten Notenwerte, die das Sangliche torpedieren und die farbliche Palette verstümmeln; keine überhetzten Tempi, die die Charaktere nivellieren und uns um alle Adagio- und Largo-Satztypen betrügen; kein ausgedörrtes, lebloses Non-Vibrato. All diesen Unfug bekommen wir hier nicht serviert. Stattdessen: in weiten Bögen erblühende Melodik, sinnträchtige artikulierte harmonische Fortschreitungen, leichtfüßiger und kraftvoller rhythmischer Fluss, geschmackvoll variiertes Vibrato in schlanker Amplitude. Wunderbar, wie sich dergestalt die unterschiedlichen Stilwelten der italienischen, deutschen, französischen und englischen Barockmusik entfalten können, wie diese vier Alben auch dem nicht mit Vorwissen belasteten Hörer wirklich einen sowohl unmittelbaren als auch nachhaltigen Geschmack davon vermitteln können, wie unterschiedlich die Mentalitäten sind und welch unerschöpfliche Mannigfaltigkeit des Ausdrucks zugleich innerhalb eines jeden ‚Nationalstils’ zu erkunden ist. Die CDs sind mit exemplarischen Komponisten zusammengestellt, wobei durchaus auch so berühmte Meister wie Telemann, Torelli oder Vivaldi fehlen, was allerdings keineswegs schmerzt und mit mancher großartigen Musik minderen Bekanntheitsgrads mehr als wettgemacht wird. Hier kann man die Spannweite der italienischen Musik in ihrer anmutigen Kantabilität und vitalen Spielfreude erleben, die französische Musik in ihrer ornamentischen Eleganz und pfauenhaften Pracht, die deutsche Musik in ihrer innigen Geradlinigkeit und kontrapunktischen Vollendung, die englische Musik in ihrem gemeinschaftlichen Geist und ihrer hymnischen Objektivität. Trio Settecento: Grand Tour CD 1 ‚An Italian Sojourn’ (2007) CD 2 ‚A German Bouquet’ (2009) CD 3 ‚A French Soirée’ (2011) CD 4 ‚An English Fancy’ (2012) Çedille CDR 1002 (4-CD-Box, Vertrieb: Naxos) |
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