Der Kanadier James Ehnes veröffentlicht Geniestreich auf Geniestreich...
von Rainer Aschemeier • 13. April 2014
Durch einen absolut überragenden Bartók-Zyklus beim chandos-Label hat sich der kanadische Violinist James Ehnes als erste Adresse für die Violinliteratur der klassischen Moderne empfohlen.
Umjubelt als „Heifetz unserer Tage“ wurde Ehnes, und das führt (mal wieder und wie so oft bei solchen Vergleichen) meilenweit am Kern der Sache vorbei. Denn Ehnes ist nicht nur virtuos, sondern er ist auch ein sehr lyrischer, äußerst musikalischer Spieler, der sich zudem noch mit Vorliebe seltener gehörtem Repertoire annimmt – während Heifetz, dem ich seine Musikalität natürlich alles andere als absprechen möchte – irgendwann vor allem eine Vorliebe für kecke Shownümmerchen entwickelte und sich in den „Fantasien“ de Sarasates und Waxmans fingerfertig austobte.
Hoffentlich liegen vergleichbare Karriereabschnitte bei James Ehnes noch in weiter Ferne, denn zurzeit ist der Kanadier ganz offensichtlich in bester Verfassung und legt oft gleich ein paar Alben im Jahr vor.
Das neueste in dieser Reihe ist die Neueinspielung von Aram Chatschaturjans selten gehörtem aber wunderschönen Violinkonzert aus dem Jahr 1940. Dieses prächtige, farbenreiche und sehr gekonnt komponierte Stück, das Moderne und Spätromantik ebenso faszinierend miteinander verquickt wie westliche und östliche Musiktraditionen, wird auf dieser Katalognovität überraschenderweise mit zwei der bekanntesten Streichquartette Dmitri Schostakowitschs gekoppelt, dem Quartett Nr. 7 mit seinen Anklängen an jüdische Melodien und dem in der Nähe von Pirna in Sachsen komponierten, und wohl bekanntesten Schostakowitsch-Quartett Nr. 8.
„Wie geht denn das?“, wird sich mancher fragen. Nun, ganz einfach: James Ehnes hat anno 2010 zusätzlich zu seiner solistischen Laufbahn noch sein eigenes Streichquartett gegründet: Das Ehnes Quartet. Jenes Streichquartettensemble spielt hier den Schostakowitsch-Beitrag, während das fulminante Chatschaturjan-Konzert (man möchte fast sagen: wie gewohnt) mit dem Melbourne Symphony Orchestra unter der kongenialen Leitung von Mark Wigglesworth zur Aufführung kommt.
Alle Interpretationen auf dieser höchst lohnenswerten CD sind ganz ausgezeichnet. Man höre beim Chatschaturjan, wie scheinbar mühelos und ganz flüssig und natürlich Ehnes die schwierig strukturierbaren und hoch virtuosen Melodiebogen phrasiert. Das ist ganz große Klasse und erzeugt durch die tiefe Werkeinsicht des Interpreten ein Gefühl sofortiger Vertrautheit mit dem so wenig gespielten Werk.
Der Schostakowitsch wird vom Ehnes Quartet ebenfalls weitaus überzeugender dargeboten, als von den zuletzt so hochgelobten Interpreten wie etwa dem Pacifica String Quartet oder dem Mandelring-Quartett. Ohne deren Leistungen abwerten zu wollen, sind beim Ehnes Quartet doch einfach ganz andere Akzente zu hören, die für die Schostakowitsch-Werke so wichtig sind: Ehnes und seine Leute wissen ganz genau, worauf es bei diesen Stücken ankommt: Es ist nämlich nicht in erster Linie die Überwindung spieltechnischer Hürden, die hier den Ausschlag gibt, sondern die Darlegung der abgründigen Emotionalität dieser Musik, der diesen Werken innewohnenden Kühle und Distanziertheit ebenso wie ihrer Wärme, Empfindungstiefe und Lyrik.
All das beherrscht das Ehnes Quartet tadellos, und auch wenn meine persönliche „Referenz“ auch nach dieser wunderbaren Einspielung doch das Èder Quartett auf Naxos bleibt, gehört diese Aufnahme der bekannten Schostakowitsch-Streichquartette durch das Ehnes Quartet zu den besten der letzten Jaare, auch wenn ich mir hier und da eine noch feinere Ausdifferenzierung der Dynamik und einen insgesamt härteren Zugriff gewünscht hätte.
Fazit: Diese CD ist ein weiteres bemerkenswertes Zeugnis für James Ehnes‘ brillante Musikalität und Virtuosität. Für mich ist er einer der spannendsten Geiger des bisherigen Jahrzehnts, und ich habe das Gefühl: Er wird immer noch stetig besser! Da werden wir wohl noch weitere Geniestreiche erwarten können.
Übrigens bin ich beileibe nicht immer ein Freund der oft zu glattpolierten Hifi-Ästhetik des onyx-Labels. In diesem Fall ist den onyx-Tonleuten aber auch soundtechnisch eine auf Polycarbonat gepresste Wohltat für die Ohren geglückt. Einfach rundum gut!
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CD-Details:
A. Chatschaturjan – Violinkonzert / D. Schostakowitsch – Streichquartette Nr. 7 & 8
Ehnes Quartet
Melbourne Symphony Orchestra – M. Wigglesworth
Violine: James Ehnes
Label: onyx
Vertrieb: note 1
Katalog-Nr.: ONYX 4121
EAN: 8004041212
Laufzeit: 1:09 Std.