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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Die Besondere CD: Yondani Butt dirigiert Beethovens erste und zweite Sinfonie

Der aktuelle Beethoven-Zyklus bei Nimbus entwickelt sich mehr und mehr zum Ereignis!

von Rainer Aschemeier  •  14. März 2014

Yondani Butt ist einer der Viel-Einspieler im Dirigentengewerbe gewesen. Vor allem für das britische Argo-Nachfolgelabel ASV nahm er etliche Alben auf, darunter ganze Werkzyklen, meistens mit dem London Symphony Orchestra. In Deutschland hinterließen sie bis auf Ausnahmen keinen großen Eindruck, was aber für die Hinterlassenschaft des ASV-Labels insgesamt gelten dürfte.
Butts hierzulande womöglich bekannteste Einspielung ist die einst bei ASV erschienene CD mit Goldmarks schöner Sinfonie „Ländliche Hochzeit“ – einfach deswegen, weil sie eine der wenigen jüngeren Aufnahmen dieses Werks ist.

In den frühen 2000er-Jahren erlitt der in Macau geborene Yondani Butt eine Schädigung der Stimmbänder, woraufhin er seine Dirigierttätigkeit über mehrere Jahre ganz einstellte. Das führte dazu, dass sein Name noch stärker in den Hintergrund geriet, auch, wenn seine Einspielungen in etlichen Boxen und Sammlungen (darunter etwa die Rimsky-Korsakow-Box von Brilliant Classics) begannen, ein Eigenleben zu führen.

Seit 2011 ist Yondani Butt beim britischen Nimus Label eine Fortsetzung seiner Tätigkeit auch für die Tonträgerbranche gelungen. Und das in mehrerer Hinsicht: Erstens macht Butt programmatisch exakt dort weiter, wo er bei ASV aufgehört hat. Während er dort nämlich mit einem Brahms-Zyklus aufgehört hatte, begann er bei Nimbus mit einem Beethoven- und einem Schumann-Zyklus.

Sein Beethoven-Reigen ist inzwischen bei der „Halbzeit“ angekommen, und weil es ja leider niemand anders tut, müssen wir bei the-listener.de einfach mal darauf hinweisen, was für ein großartiger Beethoven-Sinfonienzyklus da gerade in London entsteht. Dieser Zyklus besitzt einfach alles, was ein Beethoven-Zyklus haben muss: Frische, Poesie, Akkuratesse, mitreißende Energie und ein erstaunliches Maß an Originalität.
In der internationalen Presse ist Yondani Butts Beethoven, den er derzeit mit einem sagenhaft, ja geradezu atemberaubend gut disponierten London Symphony Orchestra in fantastisch räumlichem, vorbildlich luzidem HiFi-Sound einspielt, schon viel Aufmerksamkeit zuteil geworden. Der American Record Guide etwa vergleicht mal eben mit Furtwängler, Böhm, Szell und Karajan, während classicstoday.com die Büchse aufgemacht und noch den Namen Klemperer hervorgezaubert hat.

Meines Erachtens sind aber Vergleiche mit den großen Namen der Vergangenheit im Fall von Butts Beethoven gänzlich unangebracht. Dieser Dirigent hat ganz klar eine eigene interpretatorische Vision, und die ist zweifellos erzkonservativ, dabei aber höchst originell.
Mit historischer Aufführungspraxis hat Yondani Butt absolut nichts am Hut bei seiner jetzt neu erschienenen Einspielung der Ersten und Zweiten von Beethoven. Hier hört man ein durchaus wuchtig besetztes, romantisches Sinfonieorchester, was natürlich zuerst Gedanken an die Beethoven-Interpretationspraxis der großen Granden früherer Zeiten denken lässt. Doch führen Vergleiche mit Namen wie Böhm, Karajan oder Szell hier nicht weiter.
Dafür ist Butts Beethoven-Interpretation zu originell und zu einmalig. Er stellt hier gerade seine ganz eigene Auffassung auf die Beine, und das ist doch aller Ehren wert. Wodurch aber definiert sich nun Yondani Butts Beethoven-Auffassung?

Mehr als die meisten anderen Dirigenten setzt Butt auf dynamische Feindifferenzierung. Sein Beethoven ist ein Beethoven der kleinräumigsten dynamischen Ausziselierungen. Auf engstem Raum finden hier Lautstärke angleichungen statt, die absolut faszinierend sind. Dass das London Symphony Orchestra ein Orchester ist, das in der Lage ist, so eine dynamische Buckelpiste überhaupt auszuführen, ist Yondani Butts großes Glück. Mit anderen, weniger fähigen Orchestern wäre bei einer solchen Beethoven-Lesart schnell ein Unglück passiert.
Des Weiteren setzt Butt auf vergleichsweise moderate Tempi und ist somit einer von nur wenigen Dirigenten, die sich dem rundum dämlichen aber dennoch allseits grassierenden „wer-spielt-den-schnellsten-Beethoven“-Rennen auf’s Angenehmste verweigern.
Seine Phrasierungen überzeugen mich vollkommen, sind äußerst poetisch und setzen streckenweise viel auf Legato, jedoch nicht als Grundprinzip wie einst beim seligen Karajan, sondern als sehr wirkungsvoll und an sehr überlegten Stellen eingesetztes Stilmittel.
Dabei vermittelt Yondani Butts Beethoven-Praxis eine solch mitreißende Energie und stellenweise eine beinahe nervenzerfetzende Dramatik, dass Butt niemals in die Gefahr kommt, ins Behäbige oder gar Langweilige abzudriften.

In meinen Augen ist der Beethoven-Zyklus, der da gerade bei Nimbus in Großbritannien entsteht der aufregendste und beachtenswerteste seit Jan Willem de Vriends Beethoven für Challenge Classics, der in den Medien weithin wahrgenommen und sehr positiv besprochen wurde. Ähnliches würde ich mir für diesen außerordentlichen Beethoven aus Great Britain wünschen, der wahrlich viel viel mehr Beachtung verdient hätte, als er es zurzeit bekommt (eine Feststellung, die übrigens für das Nimbus-Label insgesamt gilt, das qualitativ längst wieder zu alter Größe zurückgefunden hat, was die internationale Fachpresse – vor allem die deutsche – aber leider beharrlich ignoriert).
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CD-Details:

Ludwig van Beethoven
Sinfonien Nr. 1 & 2
London Symphony Orchestra – Yondani Butt
Label: Nimbus Records
Vertrieb: edel:kultur (ab ca. Mai 2014: Naxos Deutschland)

Katalog-Nr.: NI 6259
EAN: 0710357625923

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