Schlüsselwerk des 20. JahrhundertsDie Kolumne: "Listening for the-listener": Christoph Schlüren - Folge XIVvon Christoph Schlüren • 8. November 2013 Mit qualitätsbewusster Entdeckerfreude und fast schon beispielloser Beharrlichkeit treibt das kleine, feine Berliner Label eda records (vormals: Edition Abseits) über die Jahre hinweg seine exklusive Reihe ‚Poland Abroad’ voran und macht uns mit verschütteten Schätzen bekannt, die stets auf tadellos professionellem Niveau und mit dramaturgischem Feingefühl und exzellenten Begleittexten präsentiert werden. Nun ist der fünfte Beitrag erschienen, und ich kann nicht anders als den bisherigen Höhepunkt der Reihe darin erblicken. Dies liegt vor allem anderen an dem grandiosen Quintett für Klarinette, Fagott, Violine, Cello und Klavier von 1944 von Konstanty (Constantin) Regamey (1907-82), das Bookletautor Frank Harders-Wuthenow, der mehr als irgendein anderer für die polnische Musik in Deutschland bewegt, bei anderer Gelegenheit völlig zu Recht als eines der bedeutendsten Kammermusikwerke des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat. Ja, darin liegt nicht einmal eine Spur von Übertreibung, und für mich liegt der musikalische Wert dieses Quintetts noch über dem des unter vergleichbar abgründigen Umständen komponierten ‚Quatuor pour la fin du temps’ von Olivier Messiaen – es wäre von höchstem Reiz, Regameys Werk zusammen mit dem 1924 entstandenen, ähnlich freisinnig elaboriert auftretenden Quintett für Klarinette, Horn und Streichtrio von Heinrich Kaminski aufzuführen. Er lehrte als Linguist und Philologe an den Universitäten von Fribourg und Lausanne, beherrschte ca. 20 Sprachen, war als Komponist Autodidakt, und es dürfte unter seinen Zeitgenossen wenige gegeben haben, die über eine solch brillante Technik verfügten. In seiner Musik verschmelzen unterschiedlichste Linien wie etwa Schönberg, Szymanowski, sowjetische Grimasse und französischer Neoklassizismus zu etwas unerhört Neuem, zu einer an Einfällen und Überraschungen überreichen, dabei hochkonzentrierten und kohärenten Tonsprache von einer Spannung und Abenteuerlichkeit, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Den Ausführenden wird dabei immense Virtuosität der idiomsicher ziselierten Partien und feinste Nuancierung und Abstimmung abverlangt, und selten habe ich einen so originellen und wandlungsreichen Variationssatz der frei zwölftönigen Epoche gehört wie den fast 18-minütigen Kopfsatz seines Quintetts. Der frei tristaneske Themenkopf, eingangs dem magischen Beginn von Sibelius’ Erster Symphonie aus der Ferne Widerhall gebend von der Klarinette allein vorgetragen, kehrt im Finale wieder und sorgt so für fesselnde zyklische Einheit des Werkes, das in jedem Takt von Inspiration durchtränkt ist und bezwingenden inneren Zusammenhang offenbart. Die Dodekaphonie diente Regamey übrigens, so zitiert Harders-Wuthenow, nicht dazu, „die Tonalität zu ersetzen, sondern einzig dazu, eine polyphone Disziplin zu liefern und eine interne, thematische und harmonische Einheit zu schaffen“. Herausgekommen ist dergestalt ein Gipfelwerk der spätexpressionistischen Freitonalität. Konstanty Regamey: Quintett für Klarinette, Fagott, Violine, Cello & Klavier (1944); Józef Koffler: Love, Kantate op. 14 für Sopran, Klarinette, Viola & Cello (1931); Simon Laks: Divertimento für Flöte, Violine, Cello & Klavier (1966) Eleonore Marguerre (Sopran), Ib Hausmann (Klarinette), Silvia Careddu (Flöte), Frank Forst (Fagott), Gernot Süßmuth (Violine), Stefan Fehlandt (Viola), Hans-Jakob Eschenburg (Cello), Frank-Immo Zichner (Klavier) eda records EDA 37 (Vertrieb: Schott Music & Media GmbH) |
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