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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Konzertkritik: Beth Levin spielt Beethoven op. 109, 110 & 111 im Hotel Bachmair in Weissach

the-listener.de-Autor Ulrich Hermann berichtet über zwei "magische Stunden"

von Ulrich Hermann  •  24. Oktober 2013


Foto copyright: Alanna Maharajh Stone

Was soll ich nach solch einem Abend sagen? Ich bin zuerst einmal sprachlos.
Dann auftauchen aus diesen magischen zwei Stunden und langsam wieder in der „Alltäglichkeit“ ankommen?
Oder doch lieber noch viel länger in diesem Zustand bleiben: „Verweile doch, du bist so schön!“

Wenn ich nach einem Konzert-Abend mit den drei letzten Klaviersonaten von Beethoven beseligt nach Hause fahre, am nächtlichen Tegernsee entlang, der volle Mond die sowieso magische Situation versilbert, ich immer noch tief in diese unfassbare Musik eingetaucht bin, dann muss etwas ganz Besonderes geschehen sein. Dann hat die in Deutschland unbegreiflicherweise noch unbekannte amerikanische Pianistin Beth Levin etwas „erspielt“, was auch ein versierter Musikfreund selten erlebt: Musik so leibhaftig, lebendig und voller Unmittelbarkeit hörbar und erlebbar werden zu lassen, dass vor allem übrig bleibt: Das große Staunen und Dankbarkeit darüber, diese noch immer so unfassbare Musik gehört zu haben.

Sie hat geschafft, was das Ziel aller Künstlerinnen und Künstler sein sollte: sich zum Medium zu machen für das unbegreifliche Mysterium aller Kunst, etwas zu vermitteln von der – und ich nehme dieses Wort ganz bewusst in den Mund – Göttlichkeit der Beethovenschen Musik.

Dass sie dabei natürlich alles überwältigend Pianistische völlig uneitel und mit Noten realisierte, ist eben im heutigen Musikbetrieb nicht die Norm. Was Beethoven in seinen letzten drei Sonaten der Spielerin oder dem Spieler abfordert, ist sagenhaft, aber es eben nicht in den Vordergrund rutschen zu lassen, so dass das Publikum hinterher sagt „Mein Gott, hat diese Frau fantastisch Klavier gespielt!“, sondern ergriffen und staunend diesem Wunder beizuwohnen und diese Musik so erleben zu dürfen, als entstünde sie unter den Händen der Spielerin just im Moment zum ersten Mal, das ist pure Magie und geht weit über einen „normalen“ Klavier-Abend hinaus.

Wie auch immer ich selbst mit aller Unzulänglichkeit diese Stücke zu spielen imstande bin, jetzt setzte ich mich wieder ans Klavier und stürze mich in den Kosmos dieser späten, alle Konventionen überschreitenden Meisterwerke, erfasst vom Sog einer unwiderstehlichen Gesamtaufführung, die uns vom ersten bis zum letzten Ton in ihren Bann genommen hat. Das hat Beth Levin mit ihrem „Spiel“ – nein, mit ihrer Liebe und mit all ihrer Kraft und ungeheueren Lebendigkeit an diesem Abend bei mir ausgelöst. Was für ein Geschenk, wie könnte man darüber eine „Kritik“ schreiben?

Die Macht der unglaublichen Kontraste so bis zum Bersten zu entfalten und gleichzeitig diese widerstrebenden Kräfte, die sich in jedem Moment jeglicher Beherrschbarkeit zu entwinden drohen, mit einer bündelnden Gegenwärtigkeit zu zusammenhängender Gestalt sich entwickeln zu lassen, das ist in der Tat ein schöpferischer Akt, den als „nachschöpferisch“ zu beschreiben wie eine lächerliche Paraphrase anmutet. Auch wenn wir diese Stücke „kennen“ und feststellen, dass sie sich hier in einer durch Sprache nicht fassbaren, unwillkürlichen Logik manifestieren, organisch aus ihren eigenen Kräften erwachsen, so besteht doch das Paradoxon, dass es scheint, als sei alles einfach neu, aus dem unwiederholbaren Moment geboren, ein einziges Abenteuer des Unvorhersehbaren. Das Komplexe wird nicht weniger komplex, doch was wir wahrnehmen dürfen in einem solcherart geglückten „gedehnten Moment“ eines durch keine Abschweifung sich vom Anfang bis zum Ende spannenden Konzertabends, ist von solcher transzendenten Klarheit, dass wir nicht denken müssen, wie uns gerade geschieht, sondern ganz im Erleben einer Stringenz aufgehen, die eigentlich zu keinem Ende führen müsste, wären die Kräfte des Menschen und die Potenziale der Materie nicht einfach doch immer wieder endlich. Wir müssen ja schließlich auch essen und schlafen…

Einen besseren Startschuss hätte man der neuen Konzertreihe im akustisch und optisch sehr feinen Festsaal des Hotels Bachmair in Weissach am Tegernsee nicht wünschen können. Das Publikum war nicht nur einfach mucksmäuschenstill und hoch konzentriert, weil das sich so gehört – wann wäre es das? –, es folgte dem Geschehen wie einem Thriller bis zum finalen Showdown, der im Falle von Beethovens op. 111 doch eher himmlisch ausfällt. Hier, in diesem Variationssatz, konnte die Musik ihre Schwingen ausbreiten und trug uns in Regionen, die sich wohl keiner erträumt hätte. Mögen die nächsten dort auftretenden Musiker an diese Qualität anknüpfen können!

Es sind dies – nach einem Auftritt des Wiener Quintetts ‚Gina Schwarz Jazzista’ am 16. 11. – Michael Kupfer und Margarita Oganesjan am 14. Dezember mit Franz Schuberts ‚Winterreise’, und am 17. Januar 2014 der junge Argentinier Hugo Schuler in seinem Deutschland-Debüt mit Johann Sebastian Bachs ‚Goldberg-Variationen’. Wie schon zu sehen ist: nach Beth Levin bereits das zweite Debüt hierzulande, was uns auch dem inneren Motto der Reihe nahebringt, Entdeckungen zu präsentieren.
Schuler gilt als herausragende Begabung unter den lateinamerikanischen Pianisten und wird sicher, wie Beth Levin, künftig öfter in Deutschland zu hören sein.

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