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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Kulturförderung mit Weitblick

Eine neue CD von Jennifer Higdon gibt uns Gelegenheit, die "Atlanta School of Composers" vorzustellen

von Rainer Aschemeier  •  9. August 2013

Sie gehört wohl zum Spannendsten, was im derzeitigen Musikleben so passiert: die Atlanta School of Composers. Und sie ist ein Musterbeispiel dafür, wie Kulturförderung gemacht werden sollte: mit Weitblick!

In den 1990er-Jahren beschloss das Atlanta Symphony Orchestra unter der Ägide seines Leiters Robert Spano eine Gruppierung von Komponisten auszuwählen, an die sie sich fortan mit immer wieder neuen Kompositionsaufträgen binden wollten. Es entstand daraus eine vorher nie dagewesene Nähe zwischen Komponisten und Interpreten, die bis heute Bestand hat und wohl einmalig auf der Welt ist.

Mit Christopher Theofanidis, Jennifer Higdon und Michael Gandolfi sind hierbei drei inzwischen etablierte Musikgrößen vertreten, die zu Beginn ihrer Liaison mit dem Atlanta Symphony Orchestra noch regelrechte „Nobodys“ waren. Der Komponist Adam Schoenberg stieß 2010 zu dem Grüppchen und ergänzt nun mit seinen Werken das absolut herausragende Œuvre, das sich seither im Rahmen der „Atlanta School of Composers“ herausgebildet hat.

Betrachtet man diese Entwicklung mit europäischen Augen, kommt einem eigentlich nur eine zumindest halbwegs vergleichbare Interpreten-Komponisten-Beziehung in den Sinn: Das Basler Kammerorchester unter seinem Leiter Paul Sacher, der solch musikhistorisch bedeutende Preziosen in Auftrag gab, wie etwa Honeggers vierte Sinfonie, Strawinskys „Concerto en re“ oder Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“.

Ist diese Einordnung zu hoch gegriffen?

Ich glaube nicht. Robert Spano hat mit der „Atlanta School of Composers“ zurzeit eines der „heißesten Eisen“ im Feuer, wenn es um die globale Musikmoderne geht. Mit Jennifer Higdon und Christopher Theofanidis stehen ihm zwei sensationelle Talente beiseite, die mit gutem Grund zu den wohl herausragendsten Stimmen Neuer Musik gewertet werden können, die nicht nur in den USA sondern auch weltweit auf sich aufmerksam machen.

JENNIFER HIGDON – SKY QUARTET

Doch komponieren die Künstler der „Atlanta School“ natürlich nicht nur sinfonisch-orchestral, sondern auch kammermusikalisch. Und so ist es eine ganz besondere Freude, dass das Naxos-Label jüngst eine CD mit Kammermusik von Jennifer Higdon veröffentlicht hat. Sie bietet eine glänzende Gelegenheit, um in den Stil Jennifer Higdons einzutauchen.

Higdons Musik erscheint beim ersten Hören zunächst verblüffend einfach, manchmal vielleicht sogar unbeholfen, sogar „stotternd“. Beim weiteren Einhören merkt man schnell, dass dies der Stil Jennifer Higdons ist, und das sich hinter diesen vordergründig manchmal holprig wirkenden Stücken eine große Rafinesse in der Anlage und ein mutiges Bekenntnis zur künstlerischen Individualität verbirgt.

Dies wird wieder einmal offensichtlich mit der neuen Naxos-CD, am augenfälligsten gleich bei den beiden das Album eröffnenden Stücken: einer Streichquartettbearbeitung des Gospelklassikers „Amazing Grace“ und dem „Sky Quartet“.
Bei dem letztgenannten Stück frappiert auch das absolut zugängliche, zunächst völlig anbiedernd erscheinende Bekenntnis zur Programmatik. Wenn es im „Sky Quartet“ heißt: „Fury“, hören wir da auch einen wütenden Sturm, ganz im alten Beethoven’schen „Pastorale“-Verständnis – doch natürlich mit den Mitteln der Neuen Musik.
Würde sich das im Deutschland von heute auch nur ein Komponist trauen? So unmittelbare Bezüge, die dem Publikum auf angenehmste Art und Weise die Rezeption der Musik erleichtern, sind hierzulande ja verpönt.

Und es ist eben das, was die „Atlanta School“ richtig macht: Sie sieht sich nicht als künstlerische Elite, sondern versteht, dass – bei aller Freiheit, bei aller Stringenz – Kunst heute mehr denn je vermittelbar sein sollte. Dabei steht gar kein „Erfolgsmodell“ im Vordergrund, sondern eine im Werk, im Künstler verankerte Grundeinstellung, die auch diejenigen Werke der „Atlanta School“ auszeichnet, die außerhalb der Liaison mit dem Atlanta Symphony Orchestra und Robert Spano enstanden sind.

Hierzu gehört auch Higdons Bratschensonate aus dem Jahr 1990, anhand derer man sehr schön die kompositorische Entwicklung der Komponistin nachvollziehen kann, denn in diesem frühen Stück (Higdon wurde 1962 geboren) bezieht sie sich musikalisch noch auf abstraktere Modelle, expressionistischere Ansätze.
Immanent ist aber auch hierbei schon eine Nähe zum amerikanischen Volkslied bzw. zum Gospel (zweiter Satz).

Äußerst spannend ist das Stück „Dark Wood“ aus dem Jahr 2001 für Streichquartett, Klavier und Fagott. Die Besetzung eröffnet faszinierende Klangfarbenkombinationen, die Higdon weidlich und gekonnt auskostet. Das Stück ist der Höhepunkt dieser insgesamt hochgradig empfehlenswerten CD.

Mit dem abschließenden Streichtrio (1988) hören wir noch einmal ein frühes Werk, das stilistische Ähnlichkeiten zur Violasonate erkennen lässt.

Das ausführende Serafin String Quartet macht seine Sache sehr gut. Es ist jeder technischen Hürde gewachsen, und es hat jede Menge „Swing“ (was bei den manchmal jazzig angehauchten Higdon-Stücken zweifelsohne von Vorteil ist). Als Ensemble klingt es durchweg mittenbetont und steht somit ganz in der Tradition der bekannten US-amerikanischen Streichquartette, womit es sehr authentisch rüberkommt.
Die Tontechnik der 2011 und 2012 eingespielten Aufnahmen ist eher routiniert, allerdings routiniert hochklassig. Sie dürfte niemanden enttäuschen, der sich diese CD mit einer hochwertigen HiFi-Anlage zu Gemüte führt, auch wenn sie kein herausragendes HiFi-Highlight perse ist.

——- CD-Details:

Jennifer Higdon – Sky Quartet, Amazing Grace, Sonata for Violin and Piano, Dark Wood, String Trio

Serafin Ensemble
Charles Abramovic (Klavier)
Eric Stomberg (Fagott)
Label und Vertrieb: Naxos
Katalog-Nr.: 8.559752
EAN: 636943975220

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