Die besondere CD: Raffaele Bellafronte - Concertivon Rainer Aschemeier • 5. Juli 2013 Eine der spannendsten CDs des bisherigen Sommers kommt aus Italien vom traditionsreichen Independent-Label „tactus“. Viele hierzulande wissen ja gar nicht, dass „tactus“ auch ein recht breit angelegtes Repertoire im Bereich Neuer Musik im Portfolio hat. Oft genug wird es als ein reines „Alte Musik“-Label wahrgenommen, weil der unbestreitbare Firmenschwerpunkt auf der Musik liegt, die zwischen 16. und 18. Jahrhundert komponiert wurde. Hier jedoch haben wir einmal wieder etwas Taufrisches: Raffaele Bellafronte ist nach langer Durststrecke mal wieder eine frische, hoch interessante kompositorische Stimme aus Italien. Wie es heute in vielen Kunstrichtungen üblich ist, bedient sich Bellafronte bei vielfältigen Inspirationsquellen. Bei der neuen CD-Veröffentlichung „Concerti“ etwa sehen wir zum Beispiel, wie sich Bellafrontes Musik (überwiegend, wenngleich nicht immer) ganz brav in eine relativ traditionelle Auffassung des „Konzertbegriffs“ eingliedert. Drei Sätze, einer davon langsam, das ist in der Regel Bellafrontes Konzertwelt, so wie bei den hier zu hörenden Konzerten für Piccoloflöte („Il labirinto dell‘ anima“, 2003) und Fagott („Zeit“, 2006). Auch die äußerlich einsätzigen Konzerte für Violine („Discantus“, 2000) und Sopransaxophon („Murales“, 2003) weisen innerlich eine mehrteilige Gliederung auf, die alles in allem einen recht konventionellen Konzert-Rahmen ausbildet. Aber was Bellafronte innerhalb dieses „Rahmens“ für Musik umsetzt, ist herrlich mitreißend und sehr überzeugend. Der italienische Komponist folgt einer neu-tonalen Strömung, die Elemente aus Expressionismus, Spätromantik, John Adams‘ copy-and-paste-Stil und auch aus der Jazz-, Pop- und Rockmusik zu einem faszinierenden Mix verbindet, der mindestens so gut unterhält, wie er raffiniert ausgetüftelt ist. Ein Publikum ohne Vorbildung im Bereich der Neuen Musik, vermag es, auf Bellafrontes Konzerte spontan „anzuspringen“ und der Musik zu folgen. Ein geübtes Neue-Musik-Publikum wird immer wieder die Raffinesse, die Gekonntheit der Kompositionen bemerken – und auch ihren Anspruch an die Vortragenden nicht unbemerkt lassen. Und hier kommt die Besetzung ins Spiel, die diese CD eingespielt hat: Der Wiener Concert-Verein, ein Kammerorchester, hat mit den Solistinnen und Solisten Patrick De Ritis (Fagott), Francesco D’orazio (Violine), Nicola Mazzanti (Piccolo-Flöte) und Federico Mondelci (Sopransaxophon) eine blitzsaubere, höchst bemerkenswerte Einspielung vorgelegt, die allein deswegen schon unsere Hochachtung verdient, weil die für alle Kompositionen charakteristische Polyrhtyhmik alles andere als leicht umzusetzen ist. Dirigent Dirk Vermeulen treibt seinen Wiener Concert-Verein durch eine polyrhythmische tour-de-force nach der anderen und sorgt dafür, dass dem Orchester nie der Saft ausgeht. Jedes einzelne Konzert auf dieser CD wirkt frisch und spontan, anziehend und mustergültig in den jeweiligen Interpretationen. Wenn es Kritikpunkte gibt, dann ist es zum einen die unklare Information darüber, wo die Aufnahmen (alles Weltersteinspielungen) denn nun eigentlich entstanden sind: Auf der Cover-Rückseite finden wir den Hinweis auf das Konzerthaus in Wien, im Booklet finden wir den Verweis auf ein Tonstudio. Aber das sind nur leichte Defizite, mit denen sich gut leben lässt. Das Wichtigste, das wir von dieser CD mitnehmen können, ist, dass es mit Raffaele Bellafronte endlich mal wieder einen italienischen Komponisten gibt, der schon bald in der „Champions League“ mitspielen könnte – wenn man ihn denn lässt. Auf eine spezifisch italienische Traditionslinie – somit auf eine etwaige Verbindung zur Musik Casellas, Malipieros, Ghedinis, Pizzettis oder gar Dallapiccolas, Madernas oder Nonos – hofft man hier vergebens. Bellafronte lässt als Komponist seine großen Vorväter mit einem Handstreich hinter sich – was nicht heißen soll, dass er etwa „besser“ komponieren würde als sie. Wohl aber ganz anders – internationaler, publikumsorientierter, mit weniger „Ich-Bezug“. Fazit: Eine äußerst spannende CD, die sowohl die Fachleute als auch ein breites Publikum begeistern könnte – ...wenn sich die Besagten darauf einlassen. Das fällt allerdings schwer, wenn – so, wie im Moment des Schreibens dieser Rezension – die CD bei Onlinehändlern wie etwa amazon aufgrund von Eingabefehlern kaum auffindbar ist. Man sucht also als interessierter Kunde am besten über die EAN (siehe unten bei den CD-Details) im Suchfeld der Onlinehändler. Erst dann wird man wirklich fündig. —— CD-Details: |
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