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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Britten 100

Was taugt die bislang günstigste CD-Box zum Britten-Jubiläum?

von Rainer Aschemeier  •  11. Juni 2013

Eins sollte klar sein: Wer sich für den Preis einer üblichen CD-Neuerscheinung eine ganze Box mit zehn CDs gönnt, darf kein Booklet erwarten. Somit ist eins schon einmal vom Tisch: „Britten 100“ ist für Einsteiger kaum zu gebrauchen.
Wer um Eintritt ins Britten-Universum ersucht, sollte dafür sorgen, dass er Werkeinführungen an die Hand bekommt. Kaum ein anderer britischer Komponist des 20. Jahrhunderts komponierte so hier-und-jetzt-bezogen, kaum ein anderer britischer Komponist des 20. Jahrhunderts wollte seiner Generation so viel sagen – vor allem auch außermusikalisch beziehungsweise programmatisch – wie Benjamin Britten.
Wer an dieses komplexe, historisch bezogene Werk ohne kundige Führung herantritt, kann eigentlich keine Freude daran haben.

Wir schlussfolgern also: „Britten 100“ muss eine Box für Kenner sein, vielleicht sogar für „Jäger und Sammler“. Und das sollte die Sache ja eher interessanter machen.
In der Tat erheischt ein Blick über die vertretenen Tondokumente spontan einige Aufmerksamkeit. Es finden sich hier nämlich nicht nur viele der fantastischen Aufnahmen, bei denen Benjamin Britten und sein Lebensgefährte, der Tenor Peter Pears, Brittens Werke selbst interpretiert hatten (auf hervorragend klingenden Aufnahmen, die einst für DECCA und deren Sublabel ARGO entstanden), sondern es gibt hier auch ein paar Raritäten zu bestaunen.

Darunter fällt etwa ein ungewöhnlicher Radiomitschnitt aus dem Jahr 1953, bei dem Eduard van Beinum das Concertgebouw Orkest dirigiert.
Auch eine – zumindest mir – bislang unbekannte Einspielung der „Diversions“ für Klavier und Orchester von 1954 ist hier vertreten. Es spielt das London Symphony Orchestra unter der Leitung des Komponisten. Solist ist Julius Katchen.

Eine weitere Überraschung ist der Einbezug der fabelhaften Einspielung von Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“ mit Peter Pears (Tenor) und Benjamin Britten am Klavier. Britten wird hier anhand einer vollen CD „nur“ als Interpret vorgeführt. Das erscheint nicht nur überraschend, sondern auch mutig, vor allem aber konsequent: Liebhabern ist hinlänglich bekannt, was für ein vorzüglicher Liedbegleiter Britten war. Bei der breiten Masse hat sich das allerdings noch nicht so herumgesprochen. Offenbar möchte das „documents“-Label diesem Umstand Abhilfe schaffen. Respekt!

Allerdings sollte man den Blick hier nicht zu sehr auf die Kuriositäten lenken. Hier sind es vor allem die Klassiker, die reich vertreten sind. Dazu gehören etwa die Serenade op. 31 mit Peter Pears (Tenor) und Dennis Brain (Horn) unter der Leitung von Sir Eugene Goossens. Oder die fantastische Karajan-Aufnahme der Bridge-Variations, die einst für die EMI entstand. Oder die nicht besser denkbaren Einspielungen der Oper „Peter Grimes“ und des Balletts „The Prince of the Pagodas“ unter Leitung des Komponisten und (im Falle der Oper) mit handverlesenem Sängerensemble. Wow! Diese Aufnahmen sind in der Tat große, unvergängliche Tondokumente, die nun im Rahmen dieses Sets sehr günstig, um nicht zu sagen spottbillig, zu haben sind.

Als positive Überraschung tritt noch eine bemerkenswerte Einspielung des Violinkonzerts auf den Plan, eingespielt 1996 (und nicht etwa 2002, wie das Cover dieser Box behauptet) durch das Copenhagen Philharmonic unter der brillanten Leitung des Finnen Osmo Vänskä und mit dem sehr guten Solisten Sergej Azizian. Diese Aufnahme erschien in den 1990er-Jahren zunächst beim dänischen Mini-Label „Classico“, bevor sie dann unter anderem beim Label „Regis“ später wieder auftauchte.

Was die Auswahl der vertretenen Stücke angeht, muss man konstatieren, dass das Unternehmen Britten-Box nur zum Teil gelungen ist. Sicher, „Peter Grimes“ oder die Sinfonia da Reqiuem sind Eckpfeiler des Britten-Repertoire, wo aber sind zum Beispiel die „Four Sea Interludes“ oder am besten gleich die ganze Oper „Billy Budd“? Wo ist das „War Requiem“? Wo ist die „Simple Symphony“, wo das Klavierkonzert? Es gibt etliches Essenzielles, was hier fehlt und was bei dieser Box durch im engeren Sinne musikhistorisch betrachtet „weniger Wichtiges“ ersetzt wurde.

Wer vor allem auf gute Soundqualität Wert legt, fährt mit der günstigen Box erfreulich gut: Die Britten-Aufnahmen der DECCA klingen auch heute noch vorzüglich. Die uralte van-Beinum-Aufnahme ist hingegen eine echte Zumutung, ebenso (und das ist wirklich schade) die Karajan-Aufnahme, die von den „documents“-Restauratoren regelrecht „totrestauriert“ wurde – denn mit dem Grundrauschen – das verzeihlich gewesen wäre – hat man auch sämtliche Höhen der Aufnahme eliminiert. Das ist ärgerlich.
Summasummarum erfüllen etwa sieben von zehn CDs durchaus auch höhere Käufererwartungen und bieten sehr guten Gegenwert für’s Geld. Der Rest der Aufnahmen fällt entweder richtig gruselig aus (Soundqualität) oder dürfte eher die Liebhaber begeistern.

Fazit: Für diesen Preis eine an und für sich sich gelungene Box. Perfektionisten werden angesichts einiger unbestreitbarer Schwächen auch etwas zum Nörgeln finden. Sie mögen in dem Fall dann bitte in ihr Portemonnaie schauen und überdenken, wie hoch der Presunterschied dieser Box zum nächst teureren Wettbewerberprodukt ausfällt.
Womöglich sieht dann die Bewertung dieser „documents“-edition auch in den Augen der notorischen Nörgler gnädiger aus.

——- CD-Details:
Britten 100 – The Birthday Collection
diverse Orchester, Solisten und Dirigenten
documents / Vertrieb: membran
Katalog-Nr.: 600047 / EAN: 4053796000477

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