Britten 100Was taugt die bislang günstigste CD-Box zum Britten-Jubiläum?von Rainer Aschemeier • 11. Juni 2013 Eins sollte klar sein: Wer sich für den Preis einer üblichen CD-Neuerscheinung eine ganze Box mit zehn CDs gönnt, darf kein Booklet erwarten. Somit ist eins schon einmal vom Tisch: „Britten 100“ ist für Einsteiger kaum zu gebrauchen. Wir schlussfolgern also: „Britten 100“ muss eine Box für Kenner sein, vielleicht sogar für „Jäger und Sammler“. Und das sollte die Sache ja eher interessanter machen. Darunter fällt etwa ein ungewöhnlicher Radiomitschnitt aus dem Jahr 1953, bei dem Eduard van Beinum das Concertgebouw Orkest dirigiert. Eine weitere Überraschung ist der Einbezug der fabelhaften Einspielung von Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“ mit Peter Pears (Tenor) und Benjamin Britten am Klavier. Britten wird hier anhand einer vollen CD „nur“ als Interpret vorgeführt. Das erscheint nicht nur überraschend, sondern auch mutig, vor allem aber konsequent: Liebhabern ist hinlänglich bekannt, was für ein vorzüglicher Liedbegleiter Britten war. Bei der breiten Masse hat sich das allerdings noch nicht so herumgesprochen. Offenbar möchte das „documents“-Label diesem Umstand Abhilfe schaffen. Respekt! Allerdings sollte man den Blick hier nicht zu sehr auf die Kuriositäten lenken. Hier sind es vor allem die Klassiker, die reich vertreten sind. Dazu gehören etwa die Serenade op. 31 mit Peter Pears (Tenor) und Dennis Brain (Horn) unter der Leitung von Sir Eugene Goossens. Oder die fantastische Karajan-Aufnahme der Bridge-Variations, die einst für die EMI entstand. Oder die nicht besser denkbaren Einspielungen der Oper „Peter Grimes“ und des Balletts „The Prince of the Pagodas“ unter Leitung des Komponisten und (im Falle der Oper) mit handverlesenem Sängerensemble. Wow! Diese Aufnahmen sind in der Tat große, unvergängliche Tondokumente, die nun im Rahmen dieses Sets sehr günstig, um nicht zu sagen spottbillig, zu haben sind. Als positive Überraschung tritt noch eine bemerkenswerte Einspielung des Violinkonzerts auf den Plan, eingespielt 1996 (und nicht etwa 2002, wie das Cover dieser Box behauptet) durch das Copenhagen Philharmonic unter der brillanten Leitung des Finnen Osmo Vänskä und mit dem sehr guten Solisten Sergej Azizian. Diese Aufnahme erschien in den 1990er-Jahren zunächst beim dänischen Mini-Label „Classico“, bevor sie dann unter anderem beim Label „Regis“ später wieder auftauchte. Was die Auswahl der vertretenen Stücke angeht, muss man konstatieren, dass das Unternehmen Britten-Box nur zum Teil gelungen ist. Sicher, „Peter Grimes“ oder die Sinfonia da Reqiuem sind Eckpfeiler des Britten-Repertoire, wo aber sind zum Beispiel die „Four Sea Interludes“ oder am besten gleich die ganze Oper „Billy Budd“? Wo ist das „War Requiem“? Wo ist die „Simple Symphony“, wo das Klavierkonzert? Es gibt etliches Essenzielles, was hier fehlt und was bei dieser Box durch im engeren Sinne musikhistorisch betrachtet „weniger Wichtiges“ ersetzt wurde. Wer vor allem auf gute Soundqualität Wert legt, fährt mit der günstigen Box erfreulich gut: Die Britten-Aufnahmen der DECCA klingen auch heute noch vorzüglich. Die uralte van-Beinum-Aufnahme ist hingegen eine echte Zumutung, ebenso (und das ist wirklich schade) die Karajan-Aufnahme, die von den „documents“-Restauratoren regelrecht „totrestauriert“ wurde – denn mit dem Grundrauschen – das verzeihlich gewesen wäre – hat man auch sämtliche Höhen der Aufnahme eliminiert. Das ist ärgerlich. Fazit: Für diesen Preis eine an und für sich sich gelungene Box. Perfektionisten werden angesichts einiger unbestreitbarer Schwächen auch etwas zum Nörgeln finden. Sie mögen in dem Fall dann bitte in ihr Portemonnaie schauen und überdenken, wie hoch der Presunterschied dieser Box zum nächst teureren Wettbewerberprodukt ausfällt. ——-
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