Wie Phönix aus der AscheDie Kolumne: "Listening for the-listener": Christoph Schlüren - Folge VIIvon Christoph Schlüren • 22. Mai 2013 Diese Produktion, entstanden am 20. April 2012 in den Räumen von Faust Harrison Pianos in New York City, als eine große Überraschung zu beschreiben, wäre eine gelinde Untertreibung, und in einer Zeit, in der überall bedenkenlos mit Superlativen hantiert wird, die oftmals auf nichts weiter beruhen als einer gut inszenierten Werbekampagne oder vermeintlich sicherer Autorität, ist es für den Rezensenten gar nicht einfach, angemessen zum Ausdruck zu bringen, welch singuläre Bedeutung einer Aufnahme zukommt, auf deren Erscheinen in Europa nur eine verschwindende Minderheit der Klassikkenner gewartet hat. So verständlich das ist, kann ich doch nur sagen, dass das äußerst bedauerlich ist. Auch vorliegende Beethoven-Aufnahme ist hierzulande nicht in den Geschäften zu bekommen, denn das Label Navona Records hat hier keinen Vertrieb, und so muss jeder Interessierte auf Online-Bestellmöglichkeiten zurückgreifen. Dass Beth Levin sich mit ihren Aufnahmen bislang den anerkannten Gipfelwerken der Literatur widmet, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine außerordentlich vielseitige und neugierige Künstlerin ist, die auch sehr viel zeitgenössische Musik spielt, u. a. von Mohammed Fairouz, Henryk Górecki, Scott Wheeler und Michael Rose, und insbesondere in enger persönlicher Zusammenarbeit Andrew Rudin und David Del Tredici. Beth Levins kultureller Horizont ist ungewöhnlich weit gesteckt, ihre detaillierten Kenntnisse erstrecken sich auf weite Gebiete der Musik- und Kunstgeschichte, der Literatur und Philosophie, sie ist nebenbei sozusagen – darin vielleicht einem Paul Zukofsky ähnlich – eine glänzende Repräsentantin der ehrwürdigen Ostküsten-Intelligentsia. Beethovens drei letzte Sonaten, die der Komponist wie „in einem Atemzug“ niederschrieb (daher der einprägsam schöne Album-Titel), hat sie an einem Tag aufgenommen, und der Eindruck ist zweifellos der eines fantastischen Live-Konzerts. So makellos sie spielt, so nebensächlich fällt die Bedeutung dessen aus, dass sie die Werke, die auch für ganz große Pianisten eine immerwährende Herausforderung bleiben, technisch souverän beherrscht. Vielmehr stellen wir uns hier als Hörer einem Abenteuer, das uns vom ersten bis zu letzten Moment mit vollendetem Zauber und wilder Kraft fesselt und 66 Minuten lang in Bann hält. Die Beschreibung muss sich dem Paradox stellen, dass wir einerseits fortwährend mit Überraschungen konfrontiert sind, nie wissen können, wie es weitergeht – das Ganze wirkt wie eine stürmisch sich entfesselnde Improvisation, als geschähe das Ganze zum ersten Mal, und man könnte geradezu annehmen, der Komponist sei hier im Moment der Empfängnis selbst am Werke, so gewaltig, so erhebend, so niederschmetternd, so suggestiv die monumentalen Kontraste und großen Entwicklungslinien eröffnend ist die Darbietung. Und hier kommt – für das dialektische Denken das ‚Andererseits’ – ins Spiel, dass die Aufführungen eben zugleich von einer seltenen strukturellen Logik getragen sind, die doch nie auf Kosten der immensen Spontaneität des Ausdrucks geht. Die Musik fließt, ja drängt durch sie hindurch, und sie scheint nichts damit beweisen, demonstrieren zu wollen, sie ist eben nicht eine Interpretin, die im Moment der Entstehung reflektiert, sondern die intensive Reflektion und Erkenntnis ist der Ausführung vorangegangen und kann nun im freien Spiel der tonalen Kräfte ihren untrüglichen Niederschlag finden. Einer meiner ersten Gedanken war: Sie spielt eigentlich, als wäre sie einer der großen, legendären Vertreter der deutschen Tradition vor mehr als einem halben Jahrhundert, Seite an Seite mit Edwin Fischer, Eduard Erdmann, Artur Schnabel, Johannes Strauss, Wilhelm Backhaus, Walter Gieseking, Rudolf Serkin, Wilhelm Kempff, Conrad Hansen – und sie ist eine der entfesseltesten, machtvollsten Stimmen in diesem Chor, mit unwiderstehlicher Verve und tief berührender Innigkeit. Sie hat die Tiefe, Brillanz, Dringlichkeit und Poesie, die Beethoven so unbedingt braucht und mittlerweile so selten in dieser wesensmäßig bedrohten Verbindung von Einheitlichkeit und Mannigfaltigkeit zur Verfügung gestellt bekommt. Das Plötzliche, Abrupte, Abgründige, und das weit Ausschwingende, geschwisterlich Beseelte – so gespielt, ist diese Musik zugleich unablässig aufrüttelnd und von jenseitiger Größe, erfüllt mit Charakter, Plastizität, Integrität, Authentizität. Der Effekt geschieht nicht um des Effekts willen, die Gegensätze werden in ihrer Vielschichtigkeit ausgeleuchtet, und zugleich geht die Reise kontinuierlich und unerbittlich ihrem Ende zu, das bereits im Anfang enthalten ist. ——-
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