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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Die besondere CD: Ralph Vaughan Williams - Sinfonien Nr. 5 & Nr. 8

Die beste Vaughan Williams-Achte seit Previns 1960er-Referenzzyklus!

von Rainer Aschemeier  •  1. Mai 2013

Fangen wir mal vorne an: Das Hallé Orchestra – man sollte es vielleicht an dieser Stelle noch einmal kurz erwähnen – ist das Sinfonieorchester der Stadt Manchester. Es gehört zu den renommiertesten Klangkörpern der britischen Inseln und gilt als ein klassisches „Vaughan Williams“-Orchester, denn es war das Hallé Orchestra, das viele wichtige Werke (darunter auch die achte Sinfonie) dieses Komponisten uraufgeführt hat. Spielt also das Hallé Orchestra Vaughan Williams-Werke ein, hört die Fangemeinde stets besonders genau hin, denn dieses Orchester hat schon hinlänglich Vaughan Williams-Geschichte geschrieben.
Als Kent Nagano, der von 1992 bis 2000 die Geschicke des Hallé geleitet hatte, anno 2000 seinen Posten als Chefdirigent räumte, war noch nicht abzusehen, wie der damals neue GMD Sir Mark Elder bei Publikum und Kritik „ankommen“ würde. Im Gegensatz zu Nagano war Elder ein Dirigent, der international kaum Reputation hatte: Außer einem Posten als Music Director des Rochester Philharmonic Orchestra in den USA hatte er quasi ausschließlich Chefdirigentenstellen auf den britischen Inseln innegehabt.
Bedenkt man, dass Nagano ein sehr „internationaler“ Dirigent war und ist, war die Wahl Sir Mark Elders für den GMD-Posten in Manchester eine recht mutige Wahl.

Doch die Rechnung ging auf: Das Hallé Orchestra besann sich eben auf seine unbestreitbaren Stärken, und die lagen stets auf dem Gebiet der britischen Sinfonik.

Mit der nun vorliegenden CD in der bislang eher sporadisch verfolgten Reihe mit Vaughan Williams-Einspielungen aus den letzten Jahren hat das Hallé erneut gezeigt, dass es derzeit wohl keine bessere Kopplung für dieses Repertoire gibt als das Orchester aus Manchester mit seinem Chefdirigenten Elder.
Wie großartig diese neue Einspielung ist, wird klar, wenn man einen Blick auf die Konkurrenz unternimmt: Die nämlich ist zahlreich – und überwiegend unbefriedigend! Nur sehr wenige Dirigenten haben es geschafft, Vaughan Williams‘ Sinfonien wirklich überzeugend und konsistent einzuspielen. Und so bin ich persönlich auch überhaupt kein Freund der landläufig als sogenannte Referenzeinspielungen gehandelten Zyklen von Boult (da gibt es ja gleich mehrere – alle knöchern, unflexibel, zäh wie Blei), Slatkin (in meinen Augen der undynamischste aller Vaughan Williams-Zyklen), Haitink (in Teilen nicht schlecht, im Überblick aber mit nicht zu übersehenden Schwächen bei den groß besetzten Werken) oder Hickox (kein Zyklus, sodern ein beinah schon übertrieben individuell-exzentrisches Selbstverwirklichungsprojekt seines Dirigenten).
Für mein Empfinden hat bislang nach wie vor das London Symphony Orchestra mit seinem klassischen Zyklus unter André Previn aus den 1960er-Jahren (RCA, zur Zeit leider vergriffen) die Nase ganz weit vorn im Umfeld der Gesamteinspielungen der Vaughan Williams-Sinfonien. Ja, auch Vernon Handley und das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra (EMI, 1980er-Jahre) und Kees Bakels mit dem Bournemouth Symphony Orchestra (Naxos, 1990er- und 2000er-Jahre) sind wahrlich nicht zu verachten, aber sie sind lange nicht so detailversessen und leidenschaftlich wie der (im übrigen auch unter HiFi-Gesichtspunkten trotz seines Aufnahmealters noch immer vorzüglich klingende) Previn-Zyklus auf RCA.

Nun also das Hallé!
Bereits mit der Gesamteinspielung der verschollen geglaubten Schauspielmusik zu „The Wasps“ sowie der Neuinterpretation der „London Symphony“ im vergangenen Jahr hatte Mark Elder gezeigt, dass sein Orchester unter seiner Leitung sich zu Höherem berufen fühlt.
Auch mit der neuen CD kann das Orchester seinen guten Ruf in Sachen Vaughan Williams erneut bestätigen: Die Fünfte erklingt als Livemitschnitt. Im Vergleich mit der Achten (kommt auf derselben CD als Studioaufnahme) gibt es klangliche Unterschiede. Bei der Fünften besitzen leider, leider die Streicher nicht genügend Trennschärfe. Und gerade das wäre bei dieser streicherlastigen, dynamikschwachen Sinfonie wichtig gewesen. Andererseits ist der Sound für eine Liveaufnahme auch wiederum nicht so schlecht.
Die Interpretation entschädigt dann für das etwas undurchsichtige Klangbild: Wie sensibel Mark Elder das Hallé Orchestra durch diese Partitur führt, wie wichtig ihm auch die kleinen Dynamiknuancen sind, wie schlüssig er seine Tempi gestaltet, wie durchsichtig er das Orchester phrasieren lässt: All das ist ganz große Klasse!
Welche Wohltat nach dem letztjährigen Vaughan Williams-Desaster aus Winterthur!

Doch es wird noch besser: Die Achte nimmt Mark Elder sehr sportlich, verpasst ihr einen richtig peppigen Breitbandsound und reizt alles aus dieser originellen Partitur.
Die Achte steht ja – sehr ungerechtfertigterweise! – unter dem Verdacht, im Prinzip nicht mehr als eine Art „sinfonisches Gimmick“ im Œuvre eines alternden Komponisten zu sein. Und das nur wegen der originellen Konstruktion: Am Anfang steht ein Variationensatz ohne Thema (oder wie Vaughan Williams es ausdrückte: „Sieben Variationen auf der Suche nach einem Thema“). Es folgt ein expressionistisch angehauchtes Scherzo, in dem ausschließlich die Blasinstrumente des Orchesters zum Einsatz kommen. Anschließend kommen die Streichinstrumente an die Reihe, in einer Cavatina, die zu Vaughan Williams‘ schönsten musikalischen Schöpfungen zählt. Der kurze Schlusssatz ist das „enfant terrible“ der Sinfonie: Hier spielen die Schlaginstrumente die Hauptrolle, darunter vieles reichlich exotisches Zeugs, wie etwa gestimmte Gongs, denen zum Teil auch die Gestaltung ganzer Melodielinien überantwortet wird.

Nun könnte man tatsächlich auf die Idee kommen, der Komponist hätte hier halt einfach mal „die Sau rauslassen“ wollen, und das Ganze sei nicht viel mehr als ein „sinfonischer Witz“. Das Gegenteil ist der Fall!
Die Achte hat mehr Tiefgang, als es ihr zugeschrieben wird. Der erste Satz beinhaltet einige der originellsten Variationsideen, die man in der Sinfoniegeschichte des 20. Jahrhunderts finden wird. Die Cavatina ist ein zutiefst ergreifendes Werk, das auch für sich allein genommen schon eine gute Figur macht. Das bissige Scherzo ist nicht minder sarkastisch, als manches, was man von Dmitri Schostakowitsch gewohnt ist, und die abschließende Toccata ist ein durch und durch paradoxes Stück, gespickt mit Verwirrspielchen und klangmalerischen Ambivalenzen.

Die gute Nachricht in Bezug auf diese CD: Seit Previn hat all das niemand mehr so gut und treffsicher erkannt, wie Mark Elder es hier tut. Noch mehr als das: Er leitet sein Hallé Orchestra am kurzen Zügel und erreicht dabei eine Präzision, wie ich sie bei diesem Stück auf CD noch nicht gehört habe. Diese Einspielung dürfte allein spieltechnisch schon die allerbeste, präziseste, „zackigste“ sein, die es derzeit am Markt zu kaufen gibt. Man höre etwa auch auf die v o r z ü g l i c h e n (!) Solostreicher des Hallé Orchestra in der Cavatina. Ich möchte behaupten: Da kann manches andere britische Toporchester glatt einpacken! Was wir hier hören, ist Orchesterkultur wirklich allerhöchsten Ranges!

Zudem hat die Achte im Studio von Ausnahmetonmeister Simon Eadon (dieser Name steht stets für erlesenen HiFi-Genuss) einen Spitzenklasseklang abbekommen, dass einem der Atem stockt, wenn man dieses sinfonische Feuerwerk über eine HiFi-Anlage zu hören bekommt, die diesen Namen auch verdient.

Fazit: In meinen Ohren ist diese CD (vor allem die achte Sinfonie) ein Superlativ in der Geschichte der Vaughan Williams-Interpretation. Seit dem 1960er Previn-Zyklus hat es meiner Meinung nach nichts Vergleichbares gegeben. Sollte es Mark Elder mit dem Hallé Orchestra anstreben, einen kompletten Vaughan Williams-Zyklus aufzunehmen, so dürfte dieser einer der interessantesten überhaupt werden. Dies sage ich nicht zuletzt auch unter dem Eindruck der bereits im letzten Jahr veröffentlichen „London Symphony“, die ebenfalls einen hervorragenden Eindruck hinterlassen hatte. Bitte mehr davon!
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CD-Details:

Ralph Vaughan Williams
Symphony no. 5 in D
Symphony no. 8 in D minor
Hallé Orchestra
Sir Mark Elder
Hallé Concerts Society/ Vertrieb: edel:kultur
Katalog-Nr.: CD HLL 7533 / EAN: 5065001341397>

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