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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Die besondere CD: Joshua Bell dirigiert Beethoven

Bells erste CD seit Antritt seines Postens als neuer künstlerischer Leiter der Academy of St. Martin-in-the-Fields

von Rainer Aschemeier  •  8. April 2013

Obwohl die Academy of St. Martin-in-the-Fields zu Orchestern mit den meisten Schallplatten- und CD-Aufnahmen gehört (das Orchester hat angeblich weit über 250 Alben produziert), ist es nie ein herausragendes Beethoven-Orchester gewesen. Zwei Anläufe, mit Sir Neville Marriner, dem Gründer und langjährigen musikalischen Leiter des Ensembles eine Gesamteinspielung der Beethoven-Sinfonien zu realisieren, scheiterten.

Das mag zum Einen daran liegen, dass die Ergebnisse (abgesehen von der legendären Philips-Quadrophonie-Einspielung von Beethovens Erster und Zweiter (zurzeit bei pentatone classics als SACD erhältlich)) dieser Bemühungen nicht besonders überzeugend waren. Zum Anderen aber schien auch die Gelegenheit nie wirklich günstig zu sein.

Seit der Spielzeit 2011/12 ist der Weltstargeiger Joshua Bell der neue künstlerische Leiter der Academy of St. Martin-in-the-Fields – und folgt damit einer alten Tradition: Sowohl der Gründer des Ensembles Sir Neville Marriner als auch dessen Nachfolgerin Iona Brown waren Violinvirtuosen, bevor sie die Leitung der Academy antraten. Beide leiteten das Orchester zunächst mit dem Instrument in der Hand und wagten sich erst Stück für Stück mit dem Taktstock in der Hand auf’s Podium.
Joshua Bell hält sich exakt an diese Traditionslinie. Mit seiner ersten CD als offizieller künstlerischer Leiter der Academy (einige CDs mit ihm als Gast waren vorausgegangen), legt Bell auch seine allererste CD vor, auf der er rein als Dirigent wirkt und in keiner Form mit seinen Geigenkünsten strahlen kann.

Sich als Debüt dann gleich zwei Beethoven-Sinfonien auszusuchen, scheint gewagt. Hören wir also rein: Wie macht sich Bell als Beethoven-Dirigent?
Die Antwort lautet: Überraschend gut! Bell versteht es, das Beste aus zwei Welten zu verquicken. Er weiß einerseits um die Erfordernisse der historisch informierten Aufführungspraxis, setzt diese aber nicht stur als Prinzip, sondern wohl dosiert und bemerkenswert wohlüberlegt an den richtigen Stellen ein. Sein Beethoven ist mehr Poet als Revolutionär, kann es aber auch mal richtig krachen lassen.
Der unverkennbare Streichersound der Academy of St. Martin-in-the-Fields ist samtig-seidig wie eh und je und unterscheidet sich allein dadurch schon von der Fraktion der nach „Sägezahn“ klingenden „Originalklangorchester“.

Seine Vierte kommt mit behaglichen Tempi daher und wirkt bemerkenswert ausgeklügelt. Immer wieder stellt Joshua Bell bestimmte Motive bestimmter Instrumentengruppen heraus – ohne jedoch den roten Faden der Phrasierung zu verlieren. Das ist, wie eine homogene Gemäldesammlung, aus der trotzdem einige besonders schöne Meisterwerke angenehm hervorstechen.
Mit seinen eher langsamen Tempi läuft Bell nie Gefahr, Schiffbruch zu erleiden und „auf der Strecke“ zu bleiben. Er schafft es jederzeit, Verve und Dynamik aufrechtzuerhalten.

Seine Siebte beginnt recht verhalten, wie es überhaupt Bells Auffassung zu sein scheint, dass das revolutionäre, umstürzlerische Element in der Musik Beethovens in den letzten Jahren über Gebühr betont wurde – womit er meiner Auffassung nach ganz recht hat. Trotzdem ist seine Beethoven-Deutung nicht altmodisch. Sie ist ganz im Hier und Jetzt.
Das berühmte Allegretto habe ich selten so nüchtern und überzeugend gehört, wie bei dieser Aufnahme der Academy unter Bell. Gerade dieser Satz läuft bei vielen Dirigenten Gefahr, entweder
schmalzig weil überromantisiert zu werden (gerne möchte man damit den „leidenden Beethoven“ symbolisieren, was gar nicht klappen kann) oder man versucht, dem Satz quasi gewaltsam jeden emotionalen Impetus zu entreißen. Bell findet eine wohlüberlegte, rundum überzeugende Lösung.

Ja, Bells Beethoven ist durchaus individuell gefärbt. Er hat seine eigene Handschrift. Aber Bell lässt Beethoven so weit wie möglich Beethoven sein. Er will ihm nicht seinen Stempel aufdrücken. Bells Dirigat dieser beiden herrlichen Sinfonien ist im besten Wort-Sinne eine Interpretation. In dieser Hinsicht sollte man sich hüten, Joshua Bells erste CD als Dirigent auf die leichte Schulter zu nehmen. Was dieser dirigierende Geiger hier vom Stapel lässt, ist weitaus überzeugender als viele Beethoven-Einspielungen von „ausgebildeten“ Dirigenten aus den letzten Jahren. Ich persönlich kann nur sagen: Hut ab vor dieser Leistung!

Das gilt auch für die erfreulich klein besetzte Academy of St. Martin-in-the-Fields, die sich bei diesen schönen Aufnahmen keine Blöße gibt. Trotz zahlreicher Umbesetzungen in den letzten Jahren ist und bleibt dieses Orchester eines der besten der Welt und konnte seine unverwechselbare Klanglichkeit aufrechterhalten und sogar weiterentwickeln.

Der Sound dieser Produktion stammt aus den bewährten Tonmeisterhänden von Simon Eadon, der schon einmal einen großen Beethoven-Zyklus produzieren durfte, nämlich den des Tonhalle-Orchesters Zürich unter David Zinman. Heute wie damals gehören seine Aufnahmen zu den kompromisslosen HiFi-Highlights, so auch diese. Wer Beethoven im Top-Sound sucht, findet ihn hier.

Mir fielen in Bezug auf die hier zu hörenden Werke nicht viele Einspielungen der letzten Jahre ein, die mir besser gefallen hätten als diese schöne neue Sony-CD von Joshua Bell und der Academy of St. Martin-in-the-Fields (auch wenn ich weiterhin der Meinung bin, dass die aktuelle Beethoven-Referenz weiterhin dem Netherlands Symphony Orchestra unter Jan Willem de Vriend auf Challenge Classics gebührt). Insofern kann ich nur sagen: Bitte weitermachen! Ein Gesamtzyklus der Beethoven-Sinfonien von der Academy ist eh längst überfällig! Hoffentlich wird es mit Sony Classics was und bleibt nicht (wie einst bei Philips) nur Stückwerk.
——————————————————— CD-Details:
Ludwig van Beethoven
Sinfonien Nr. 4 & 7
Academy of St- Martin-in-the-Fields
Joshua Bell
Sony Classical
2013
EAN u. Katalog-Nr.: 887654488121

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