Die besondere CD: Joshua Bell dirigiert BeethovenBells erste CD seit Antritt seines Postens als neuer künstlerischer Leiter der Academy of St. Martin-in-the-Fieldsvon Rainer Aschemeier • 8. April 2013 Obwohl die Academy of St. Martin-in-the-Fields zu Orchestern mit den meisten Schallplatten- und CD-Aufnahmen gehört (das Orchester hat angeblich weit über 250 Alben produziert), ist es nie ein herausragendes Beethoven-Orchester gewesen. Zwei Anläufe, mit Sir Neville Marriner, dem Gründer und langjährigen musikalischen Leiter des Ensembles eine Gesamteinspielung der Beethoven-Sinfonien zu realisieren, scheiterten. Das mag zum Einen daran liegen, dass die Ergebnisse (abgesehen von der legendären Philips-Quadrophonie-Einspielung von Beethovens Erster und Zweiter (zurzeit bei pentatone classics als SACD erhältlich)) dieser Bemühungen nicht besonders überzeugend waren. Zum Anderen aber schien auch die Gelegenheit nie wirklich günstig zu sein. Seit der Spielzeit 2011/12 ist der Weltstargeiger Joshua Bell der neue künstlerische Leiter der Academy of St. Martin-in-the-Fields – und folgt damit einer alten Tradition: Sowohl der Gründer des Ensembles Sir Neville Marriner als auch dessen Nachfolgerin Iona Brown waren Violinvirtuosen, bevor sie die Leitung der Academy antraten. Beide leiteten das Orchester zunächst mit dem Instrument in der Hand und wagten sich erst Stück für Stück mit dem Taktstock in der Hand auf’s Podium. Sich als Debüt dann gleich zwei Beethoven-Sinfonien auszusuchen, scheint gewagt. Hören wir also rein: Wie macht sich Bell als Beethoven-Dirigent? Seine Vierte kommt mit behaglichen Tempi daher und wirkt bemerkenswert ausgeklügelt. Immer wieder stellt Joshua Bell bestimmte Motive bestimmter Instrumentengruppen heraus – ohne jedoch den roten Faden der Phrasierung zu verlieren. Das ist, wie eine homogene Gemäldesammlung, aus der trotzdem einige besonders schöne Meisterwerke angenehm hervorstechen. Seine Siebte beginnt recht verhalten, wie es überhaupt Bells Auffassung zu sein scheint, dass das revolutionäre, umstürzlerische Element in der Musik Beethovens in den letzten Jahren über Gebühr betont wurde – womit er meiner Auffassung nach ganz recht hat. Trotzdem ist seine Beethoven-Deutung nicht altmodisch. Sie ist ganz im Hier und Jetzt. Ja, Bells Beethoven ist durchaus individuell gefärbt. Er hat seine eigene Handschrift. Aber Bell lässt Beethoven so weit wie möglich Beethoven sein. Er will ihm nicht seinen Stempel aufdrücken. Bells Dirigat dieser beiden herrlichen Sinfonien ist im besten Wort-Sinne eine Interpretation. In dieser Hinsicht sollte man sich hüten, Joshua Bells erste CD als Dirigent auf die leichte Schulter zu nehmen. Was dieser dirigierende Geiger hier vom Stapel lässt, ist weitaus überzeugender als viele Beethoven-Einspielungen von „ausgebildeten“ Dirigenten aus den letzten Jahren. Ich persönlich kann nur sagen: Hut ab vor dieser Leistung! Das gilt auch für die erfreulich klein besetzte Academy of St. Martin-in-the-Fields, die sich bei diesen schönen Aufnahmen keine Blöße gibt. Trotz zahlreicher Umbesetzungen in den letzten Jahren ist und bleibt dieses Orchester eines der besten der Welt und konnte seine unverwechselbare Klanglichkeit aufrechterhalten und sogar weiterentwickeln. Der Sound dieser Produktion stammt aus den bewährten Tonmeisterhänden von Simon Eadon, der schon einmal einen großen Beethoven-Zyklus produzieren durfte, nämlich den des Tonhalle-Orchesters Zürich unter David Zinman. Heute wie damals gehören seine Aufnahmen zu den kompromisslosen HiFi-Highlights, so auch diese. Wer Beethoven im Top-Sound sucht, findet ihn hier. Mir fielen in Bezug auf die hier zu hörenden Werke nicht viele Einspielungen der letzten Jahre ein, die mir besser gefallen hätten als diese schöne neue Sony-CD von Joshua Bell und der Academy of St. Martin-in-the-Fields (auch wenn ich weiterhin der Meinung bin, dass die aktuelle Beethoven-Referenz weiterhin dem Netherlands Symphony Orchestra unter Jan Willem de Vriend auf Challenge Classics gebührt). Insofern kann ich nur sagen: Bitte weitermachen! Ein Gesamtzyklus der Beethoven-Sinfonien von der Academy ist eh längst überfällig! Hoffentlich wird es mit Sony Classics was und bleibt nicht (wie einst bei Philips) nur Stückwerk. |
StöbernVerwandtes / Ähnliches: ArchivAlle Artikel können im Archiv nachgeschlagen werden. Dort ist auch eine gezielte Suche möglich. |