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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

WILCO live in der Hamburger Markthalle

12. September 2005

von Frank Castenholz  •  13. September 2005

Man konnte an diesem tollen Abend gar nicht schmerzhaft genug die konzentrierte Spielfreude der einzelnen Musiker beklatschen. Zunächst der enthusiastische Glenn Kotche: am Schlagzeug ein begnadeter Blickfänger, wie er souverän und leichthändig die Stöcke schwang und dabei noch den Eindruck erweckte, er wollte einen mit seiner dritten Hand zum Plausch heranwinken, ... um dann im nächsten Moment plötzlich einen infernalischen Flugzeughangar-Lärm vom Stapel zu lassen und die fassungslose Zuhörerschaft in freudigen Schock zu versetzen (Eröffnungsnummer: „via chicago“).

Auch danach streuten WILCO ab und an – verschmitzt, aber ohne Schadenfreude – Salz in unsere melancholiewunden Ohren und veranschaulichen dabei ohne Besserwisserei, dass alle Harmonie endlich ist. Gerade diese unvermuteten Wechsel in Dynamik, Lautstärke und Stimmung, die einem unvermutet den Boden unter den wippenden Füßen wegziehen, garantierten, dass der Spannungsbogen während des ganzen Konzertes mühelos gehalten wurde. Man rechnete ab diesem Initiationsmoment zwar stets mit dem Stilbruch, der dann aber – obwohl man ja nun eigentlich vorgewarnt sein sollte – eben doch wieder unerwartet kam. Noch im Fallen applaudierte man begeistert dem gestellten Bein.

Dann neue Gitarrist Nels Cline: ein mit den Meriten des Jazz versehener Virtuose -und hagerer Schlacks von unbestimmbarem Alter (in Wahrheit bereits endvierzig), bei dessen motorischer Entwicklung offenbar alle Eleganz und Kunstfertigkeit exklusiv in die Finger floss. Aber welch von klinischer Wärme strahlende, auf den Punkt gegarte Soli – während derer sich sein an den Fingern hängender, schweißnasser Körperrest in einer „cum shot“-Spannung biegt, die das symbiotische Feuchtbiotop von Sex und Rock´n´Roll auf originelle Art neu erschließt. Äh, wer war noch mal Jay Bennett?

Schließlich der verlässlich knubbelige Jeff Tweedy: bei bester Stimme und ganz in die Musik vertieft, sprach er während der ersten 90 Minuten kein Wort, um sein Schweigen dann bei der Zugabe, als eh schon alles gewonnen war, umständlich pointiert damit zu erklären, dass man sich besser aufs Spielen konzentrieren könne, wenn man nicht auch noch sprechen müsse. Mit dem Beginn des etwa halbstündigen Zugabeteils wurde sichtlich die Tür zur Kür eröffnet und die Band verausgabte sich ausgelassen im Rock´n´Roll („i´m a wheel“ oder auch ein großartiges „kingpin“ motivierte die drei Gitarristen zeitweise zu nahezu ironmaidenesken Gitarrenläufen und -posen). Dem Zuruf, „How to fight loneliness“ erklingen zu lassen, widersprach Tweedy höflich. Und das war für mich der Beweis: wenn mir tatsächlich bis zum Ende des Zugabeteils gar nicht einfällt, dass mein Lieblingslied noch nicht erklang, dann war dies wahrlich ein feines Konzert.

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