Prokoffjews "Kriegssonaten" in aufsehenerregender Neueinspielungvon Salvatore Pichireddu • 25. Februar 2013 In seiner zweiten Gastrezension für the-listener.de bespricht Blogger-Urgestein Sal Pichireddu die aufsehenerregende Neuaufnahme der Klaviersonaten Nr. 6-8 von Sergej Prokoffjew durch den russischen Piansten Denis Kozhukhin. ————————————————- Die sogenannten „Kriegssonaten“ von Sergej Prokoffjew (1891-1953) entstanden in einer befremdlich ruhigen und freien Phase für sowjetische Künstler, kurz nach Ausbruch des 2. Weltkriegs. Die Propaganda-Maschinerie des stalinistischen Apparats schwor die Bevölkerung auf den kommenden Krieg ein. Man richtete zunehmend seine Aufmerksamkeit (und seine Feindseligkeit) auf die heraufziehende Bedrohung von Außen (also das nationalsozialistische Deutschland, das am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfallen hatte); die zuvor drangsalierten Künstler, die der Staatsführung per definitionem suspekt waren und unter dem Generalverdacht des ‘Formalismus’ standen, waren nun auf einmal eher nebensächlich. Abgesehen von den üblichen patriotischen Bekenntnissen konnte sie sich in den Kriegsjahren freier entfalten als je zuvor unter Stalin. Für die Künstler eröffneten sich nun verloren geglaubte Möglichkeiten inmitten schwierigster Verhältnisse. Die Klaviersonaten Nos. 7 bis 9 entstanden zum größten Teil im kasachischen Almaty (früher Alma-Ata), wohin Prokoffjew mit anderen Personen der Intelligenzija evakuiert worden war, um den direkten Kriegswirren in den Zentren Moskau und Leningrad zu entkommen. Mit ihrem grüblerischen, bald bedrohlichen, bald lyrischen, bald unheimlichen Unterton scheinen sie die später bekannt gewordenen Grauen des Krieges vorwegzunehmen beziehungsweise zu reflektieren. Doch nicht nur der Krieg mag eine Rolle in der Vorstellung Prokoffjews gehabt haben, die Sonaten verschlüsseln wohl auch seine innere Zerrissenheit und seine Ablehnung gegen das stalinistische Establishment, allen kompositorischen Gefälligkeitsarbeiten (wie der Stalin gewidmeten Kantate „Zdravitsa“ – Heil Stalin, op. 85) zum Trotz. Denis Kozhukhin, der Solist dieser Aufnahme, erschienen beim Label onyx, wehrt sich tapfer dagegen, in die „russische Schublade“ gesteckt zu werden. Mehr als ein authentischer Interpret der russischen Klaviermusik des 19. und 20. Jahrhunderts zu sein, sieht er sich lieber in der Tradition einer größeren, europäischen Tradition. Ein Glücksfall, denn ausdrucksstarke Interpreten der komplexen und anspruchsvollen Klaviermusik Prokoffjews sind heutzutage rar geworden. Man muss schon die ganz großen Interpreten dieser Sonaten bemühen – Sviatoslav Richter, Emil Gilels und Maurizio Pollini – um vergleichbare technische Souveränität und interpretatorische Intensität hören zu können. An Prokofievs spröder, enigmatischer Musik sind schon viele große Namen gescheitert. Kozhukhin (Jahrgang 1986), belegt mit seinen erstklassigen Interpretationen auf dieser Debüt-CD eindrucksvoll, warum er 2010 völlig zurecht Preisträger des Concours Musical Reine Elisabeth in Brüssel wurde: Trotz seiner jungen Jahre verfügt er bereits über ein tiefes Verständnis für die in vielfacher Hinsicht schwierige Musik, die er hier vorstellt. ————————————
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