Nebelfreier Blick auf's Meer!Anima Eterna renoviert Debussys "La Mer" und bringt seine Schubert-Einspielungen in einer handlichen Box neu herausvon Rainer Aschemeier • 10. November 2012 Im letzten Jahr waren sie mit weitem Abstand unsere Sieger bei der Wahl der the-listener.de-CD des Jahres : Das „Originalklang“-Ensemble Anima Eterna aus dem belgischen Brügge und ihr langjähriger Leiter Jos van Immerseel. Mit einer schlicht und ergreifend sensationell großartigen Poulenc-Retrospektive, die mich auch heute noch so begeistert, wie kaum eine andere CD der letzten zehn Jahre, konnte das Orchester wohl auch für sich selbst einen Meilenstein verbuchen. Bislang war man vor allem im Bereich der Klassik und frühen Romantik aufgetreten, nun zeigte Immerseel, dass es sich wohl lohnte, auch bei noch nicht einmal 100 Jahre altem Repertoire nach Instrumentarium aus der Entstehungszeit der Stücke zu forschen und diesen zudem Methoden der historischen Aufführungspraxis angedeihen zu lassen. Nun führen Immerseel und sein Orchester diesen erfolgreichen Weg ebenso selbstbewusst wie überzeugend weiter und machten sich an eine mit über 77 Minuten randvoll gestopfte CD-Interpretation einiger Hauptwerke aus der Feder des als Impressionisten gebrandmarkten Claude Debussy.ANIMA ETERNA BRUGGE INTERPRETIERT DEBUSSYS „LA MER“ UND LICHTET DEN KÜSTENNEBEL Mit „La Mer“, „Prélude à l’après-midi d’un faune“ sowie „Images“ liegen hier drei der bekanntesten und am meisten nachgefragten Werke des Franzosen in neuen Darbietungen vor, die es wahrlich in sich haben. Bereits bei dem „Prélude à l’après-midi d’un faune“ zeigen Immerseel und seine Musiker, wo die Latte von nun an angelegt werden muss: Hinfort ist jegliche Karajanistische Weichzeichnerei, ohne jedoch auf die zweifellos vorhandene Emotionalität der Musik zu verzichten. Hört man diese Interpretationen, drängt sich ein Vergleich förmlich auf, nämlich der mit der Gesamteinspielung der Debussy-Orchesterwerke durch Jun Märkl und dem Orchestre National de Lyon, das der heutige Chefdirigent des MDR-Sinfonieorchesters bis 2011 leitete (Rezension einer Teilausgabe dieses Zyklus siehe hier). Insgesamt ist der erste Höreindruck, wie so oft bei Anima Eterna-Einspielungen ungewohnt. Immer wieder steht die Frage im Raum: „Dürfen die das?“ Jeglicher Zweifel aber verfliegt, wenn man darüber nachdenkt, wie schlüssig und logisch das alles ist, was Anima Eterna und Immerseel hier veranstalten. ANIMA ETERNA INTERPRETIERT SCHUBERTS SINFONIEN – EINE VERMEINTLICHE REFERENZEINSPIELUNG DER 1990er IN NEUEM LICHT Gleichzeitig zu der soeben besprochenen Debussy-Einspielung, die man getrost als Messlatte für alles Kommende auf diesem Sektor ansetzen darf, wurde vom Label Zig Zag Territoires auch die Gesamtaufnahme der Schubert-Sinfonien (in ihrer Zählart sind es acht) von Anima Eterna wiederveröffentlicht, die zwischen 1996 und 1997 entstanden und seinerzeit leider etwas untergegangen war. Hierbei muss man konstatieren, dass diese damals von vielen Magazinen zur ultimativen Schubert-Referenz ausgerufene Edition aus heutiger Sicht nicht nur mit einigen Affektiertheiten aufwartet, sondern auch mit einem Brügger Orchester, das vor 15 Jahren instrumental noch nicht auf dem Gipfel seiner Möglichkeiten musizierte.Das merkt man insbesondere bei den Holzbläsern, so etwa im langsamen Satz der „Tragischen“ Vierten, aber auch bei der gesamten Ensembleleistung, zum Beispiel bei der „Großen“ C-Dur-Sinfonie. Mit der zurzeit im Entstehen begriffenen Gesamteinspielung der Schubert-Sinfonien durch das Tonhalle Orchester Zürich unter der Leitung David Zinmans (Rezension zu einer der letzten Veröffentlichungen aus jenem Zyklus siehe hier ist aus meiner persönlichen Sicht eine etwaige Referenz heutzutage in Zürich zu suchen und nicht in Brügge. Für mich war die Gesamtaufnahme von Anima Eterna im Übrigen auch nie Referenz, denn dafür war sie instrumental nicht gut genug und ihre Andersartigkeiten und – ja – Schrulligkeiten, erscheinen häufig effekthascherisch – eine Unart, die sich das Ensemble unter Immerseels Regie erfreulicherweise heute fast zur Gänze abtrainiert hat. Dafür ist die instrumentale Qualität des Orchesters reich gediehen und hat heute fraglos Weltklasseniveau. Immerhin: Klanglich ist diese Aufnahme auch 15 Jahre nach ihrer Entstehung noch eine Klasse für sich, bei der selbst die ebenfalls vorzüglich klingende neue Zinman/Tonhalle-Einspielung den Kürzeren zieht. ——————————- Claude Debussy: „La Mer“, „Prélude à l’après-midi d’un faune“, „Images“ Franz Schubert – Die Sinfonien (4 CDs) |
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