Die Boccherini-Edition von Brilliant ClassicsEin großzügiger Einblick auf 37 großartigen CDs - jedoch nicht ohne schmerzhafte Repertoire-Lücken!von Rainer Aschemeier • 5. September 2012
Neben dem neuerlichen Siegeszug der Vinylschallplatte stellte diese gängige These wohl kein Trend mehr auf die Probe, als das inflationäre Auftreten von üppigen Kollektionen und Gesamtwerk-Ausgaben seit Beginn des neuen Jahrtausends. Sehr berechtigtermaßen wird das Werk des gebürtigen Luccaners, der eigentlich einen Job in London antreten wollte und schließlich ab 1768 am Hof von Madrid seine kreative Idealumgebung fand, immer beliebter. Wohl kein anderes Label hat in den letzten zehn Jahren mehr für die Verbreitung und Ehrenrettung des gelegentlich belächelten Boccherini getan, als das Low Budget-Label Brilliant Classics. Dass dabei einige ganz herausragende Werkeditionen entstanden sind, ist nicht erst seit gestern bekannt. So hat etwa die mit sagenhaften 16 CDs bislang vollständigste Ausgabe der Streichquintette Boccherinis mit dem Kammerensemble „La Magnifica Comunità“ großes Aufsehen in der internationalen Presse erregt. So großes, dass „La Magnifica Comunità“ von dem beliebten Label für den kleinen Geldbeutel zum großen Geld wechselten und nunmehr für Sony Classics die Bogen auf die Saiten setzen (mehr Informationen dazu gibt’s hier). Weitere vier CDs stellen die Klavierquintette Boccherinis in den Mittelpunkt, zwei CDs umfassen die ungemein reizvollen Gitarrenquintette, je eine von „capriccio“ lizenzierte CD widmet sich den Oboenquintetten und den Streichsextetten, drei CDs stellen die inzwischen sehr beliebten Cellokonzerte Boccherinis vor, leider nur zwei (wieder von „capriccio“ lizenzierte) CDs beinhalten die wichtigsten Sinfonien, eine weitere „capriccio“-Lizenz bildet die CD mit Streichquartetten in dieser Box, zwei von „tactus“ lizenzierte CDs versorgen uns mit einem Einblick in die Violinsonaten, vier CDs umfassen die Cellosonaten, und abschließend gibt’s das gloriose „Stabat Mater“ in einer aufsehenerregenden Produktion des italienischen „tactus“-Labels. Sieht man einmal davon ab, dass die ganze Box den Charme eines „wir-veröffentlichen-einfach-alles-was-wir-kriegen-können-und-was-wir-nicht-kriegen-können-lassen-wir-halt-weg“-Ansatzes vermittelt, ist diese Brilliant-Classics-Novität eine sehr empfehlenswerte Edition. Zum Preis von gerade einmal knapp 50 Euro gibt es hier rund 45 Stunden Musik von einem der wichtigsten und vor allem eigenständigsten Vertreter der Periode, die anderswo gemeinhin als „Wiener Klassik“ tituliert wird. Es ist wohl vor allem diese ungewöhnliche Stilmixtur, welche die Rezeption von Boccherinis Werk lange Zeit behindert hat, heute aber eher fördert. Während man noch vor wenigen Jahren das weithin gebrauchte Schmähwort von „Haydns Ehefrau“ auf Boccherini anwendete und ihm seinen (übrigens nicht unbedeutenden) Anteil an der Entwicklung der Sinfonie-Gattung praktisch zur Gänze abschrieb, ist der eigensinnige Schöngeist aus Madrid heute zum Bestseller auf dem CD-Markt avanciert. Doch zurück zu der vorliegenden Box: Gibt es Stärken, gibt es Schwächen? Das sicherlich größte Manko an der vorliegenden Zusammenstellung ist jedoch das Fehlen von weiten Teilen des Bocherinischen Sinfonieschaffens (er schrieb mindestens 27 Sinfonien, von denen hier gerade einmal sieben erklingen). Dabei würde sich die Beschäftigung mit diesem Element im äußerst umfangreichen Gesamtwerk des Luccaners besonders lohnen. Das ist im Rahmen einer Edition, die sich auch nur ein Mindestmaß an Repräsentativität auf die Fahnen geschrieben hat, eigentlich kaum verzeihlich. Gleichwohl gibt es die Sinfonien anderswo zu Genüge. Im Rahmen dieser Edition schwelge man also beruhigt im Schönklang der anderen Werkgattungen dieses hochinteressanten Komponisten, dem man wahrhaftig das größtmögliche Publikum wünscht. |
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