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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Superstar verzweifelt gesucht

von Frank Castenholz  •  13. Januar 2004

Das musikalische Jahr 2003 im Rückspiegel, drängt es sich förmlich auf, beiläufig auch ein paar aufrichtig spöttische Zeilen über den Superstar-Suchzwang zu verlieren. Wer seinen Fernseher nicht nur für Tagesschau und Tierfilm einschaltet, wird wohl kaum diversen Auftritten des gecasteten Sängerreigens entkommen sein. Jeder Privatsender fühlte sich verpflichtet, dem Publikum seine persönliche Version des Wettstreits darzubieten: „Popstars“, „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS), „Starsearch“, „Fame Academy“ … Und last and least beschloss auch noch das ZDF, seinen Beitrag für die Generation 50 plus mit einem Schlageräquivalent zu leisten. Man soll den mittlerweile ja „redesignten und relaunchten“ Mainzelmännern schließlich nicht nachsagen können, sie würden ihrem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag nur mit Traumschiff, Rosamunde Pilcher, Kerner und Gottschalk nachkommen. Was spricht auch dagegen, vom bequemen Zwangsgebührenpolster aus mit geklauten Sendekonzepten auf das Boulevard der Privaten zu drängen? Na also.

Das Format, das in diesem Jahr die größten Emotionen des Publikums wecken konnte, war wohl die erste Staffel von DSDS, dessen erste Mottoshow bereits Mitte Dezember 2002 gestartet war und die Nation bis zum Finale im März 2003 an den Fernsehsessel fesselte. Als ich – sehr spät –, nämlich immerhin erst zur sechsten Mottoshow „Big Band“ einen skeptisch scheuen Blick auf das Spektakel warf, konnte meine Abneigung zunächst kaum größer sein: Das hing weniger an Dieter Bohlen, denn an dem Moderatorenpärchen: linker Hand ein stumpf dauergrinsendes Nummerngirl, rechter Hand ein Ex-„Verbotene Liebe“-Starlet, das als „Jazzexeperte“ von eigenen Gnaden debil fingerschnippend fortlaufend dozierte: „Ja, meine Damen und Herren, DAS ist Swing!“ Immerhin, die musikalischen Beiträge waren insgesamt nicht übel. Ein live aufspielendes Orchester sorgte für soliden Big Band-Background und die Gesangsleistungen waren teils durchaus beachtlich – gerade vor dem Hintergrund, dass wohl sämtliche Teilnehmer ihren ersten und einzigen Kontakt mit dieser Stilrichtung über Robbie Williams´ „Swing When You´re Winning“ gewonnen hatten. Als unangefochtener Höhe- oder Tiefpunkt des Abends, je nach Erwartungshaltung, erwies sich, wenig überraschend, der Auftritt von Daniel Küblböck: Die Idee, als stimmloser, androgyner, hypermotorischer Teenager die schmachtfetzende Lebensbilanz „My Way“ zu fisteln, und zwar nicht etwa in der höhnischen Sid Vicous-Punk Rock-Version, sondern – den Pathos-Regler auf Anschlag ganz oben geschoben – in den Saurierstiefeln der Amtsvorgänger Sinatra stolpernd versinkend, war derart verwegen, dass man vor soviel ungestümer Ignoranz nur anerkennend noch die Narrenkappe ziehen konnte.

Ab meiner zweiten Sendung hatte ich mich dann schon an den Trash-Appeal der Sendung gewöhnt und fand das alles plötzlich durchaus unterhaltsam. Insbesondere die dramatischen Ausscheideszenen vermittelten authentisch die Qual der Wahl, die nun mal in erster Linie die Objekte (also die Kandidaten), nicht die Subjekte (also das Publikum) peinigte. Und im durchaus authentischen Underdog D.K. war auch eine polarisierende Figur geboten, die man aufgrund seiner nervigen Hippeligkeit straight out of Hüpfburg ablehnen, aber auch mit einigem Recht aufgrund seines heldenhaften Stehvermögens im Kampf gegen die eigenen Talentgrenzen, die Jury und das halbe Publikum bewundern konnte. Immerhin klangen die Klagen, Küblböck untergrabe die Seriosität des Wettbewerbs, in etwa so hohl wie die einstigen Anfeindungen gegen Guildo Horn und Stefan Raab, sie hätten Deutschland beim Grand Prix d´Eurovision unwürdig vertreten. Vermutlich trugen gerade seine unfreiwilligen Attacken auf die Popkonvention wesentlich zum Erfolg des Formats bei. Alles in allem ging DSDS als ein schlau konzipiertes, dumm serviertes Unterhaltungsevent durch, das genug diskursiven Gesprächsstoff für die Schulhöfe, Teeküchen, und Mensen der Republik lieferte. Mittlerweile läuft die zweite Staffel, vermag aber – vielleicht weil diesmal kein derart polarisierendes Anti-Talent in der Endrunde ist – schon nicht mehr ganz so zu fesseln wie die erste Ausgabe.

War das alles nun aber – neben ein paar sympathieweckenden oder schadenfrohen, jedenfalls aber unterhaltenden Stunden für das Publikum – auch Talentförderung, gar Sternenkür? Vorab zu klären wäre wohl, ungeachtet der inflationären Verwendung des Begriffs: Was zeichnet eigentlich einen so genannten „Superstar“ aus? Sind es die Verkaufszahlen? Die internationale Relevanz? Das Maß an kontinuierlicher Medienaufmerksamkeit? Die Fähigkeit, sich dauerhaft auf dem Markt zu etablieren? Bei strenger und kumulativer Anwendung dieser Kriterien hätte Deutschland wohl, ketzerisch gesprochen, seit der Zeit, als die Scorpions in den USA noch Stadien füllten, keine Superstars mehr hervorgebracht. Bei etwas laxerer Anwendung der Superstar-Formel wären vielleicht solche (hierzulande relativ unbeachteten, da nicht Pop im engeren Sinne schaffenden) Techno-DJs-Musiker-Produzenten wie Westbam, Sven Väth und insbesondere DJ Hell, aber auch die ungeliebten Rammstein als Superstars zu bezeichnen. Die Castingshows haben hingegen bislang lediglich ein paar handzahme Sternschnuppen ausgeworfen, deren Instant-Popularität wahrscheinlich die Halbwertszeit eines Zlatko (erinnert sich noch jemand?) nicht spürbar überschreiten wird … Als letzte Bestätigung dieser Diagnose mag das desaströse Abschneiden von Alexander bei dem internationalen „Idols“-Schaulauf dienen.

Zugestanden, die kleingernegroßen Finalisten des letzten Jahres hatten doch eigentlich alles, was es braucht: eine passable Stimme, eine gesunde Portion Ehrgeiz und eine ungesunde Portion Exhibitionismus. Allerdings auch den unbedingten Drang, jede Kante zu polieren, jede Ecke abzuschleifen, um möglichst leicht konsumierbar zu sein. Gerade diese unbedingte Dienstleistungsmentalität könnte sich letztlich fatal auswirken. Es fehlt bei allem ein klitzekleines Häufchen Charisma und Geheimnis, man könnte auch sagen: Kapputtheit. Die eigentlich brutal harmlose Vanessa macht’s ja schon ganz richtig. Man suche sich einen berüchtigten Hip Hop-Rüpel als Duettpartner (Ferris MC), lasse diesen öffentlich über gemeinsamen THC-Konsum schwadronieren, und gelte seitdem als toughe Szenebraut (dass der gepflegt schlechte Asi-Ruf von Ferris durch diese „Kollabo“ ordentlich versaut ist, muss nicht ihre Sorge sein).

So weit, so fies. Man sollte seine Schreibtisch-Arroganz indes nicht zu voreilig ausleben. Es könnte auch anders kommen. Der Sprung ins Showgeschäft muss schließlich gar nicht authentisch, sozusagen durch die Hintertür der Provinztournee erfolgen. Immerhin gibt es genug Beispiele, dass Pop-Dienstleister aus der Casting-Retorte (eines TV-Senders, eines Boygroup-Managements etc.) es noch zu etwas Substanz bringen: Zu nennen wäre natürlich (wie immer) Robbie Williams, aber auch z. B. Justin Timberlake, der in diesem Jahr eine überraschend beachtliche R´n´B-Platte vorgelegt hat. Selbst hierzulande kann das klappen: So haben sich die aus der 2000er Castingshow „Popstars“ rekrutierten No Angels – wohl aufgrund ihres äußerst findigen Managements und der sehr international klingenden, handwerklich beachtlichen Popproduktionen – von ihre Mutter PRO7 erfolgreich emanzipiert (und mittlerweile leider aufgelöst). Wer nur etwas offen für komsumorientierte Popmusik ist, sollte wohl keinen allzu abschätzigen Blick auf den über TV-Sender gehypten Popnachwuchs werfen. Wenn aus den Talentshows auch nur ein einziger Popinterpret mit längerfristigen Karriere- und Entwicklungsperspektiven entspränge, wäre das im Popmangelland Deutschland durchaus Grund zur Freude. Und in der Zwischenzeit kann man sich von dem Superstar-Suchzwang der Sender – ob mitfiebernd oder kopfschüttelnd – immer noch besser unterhalten fühlen als von jeder „Wetten Dass…“-Sendung.

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