Ein persönlicher Jahresrückblick
von Frank Castenholz • 10. Januar 2004
THE BAND OF BLACKY RANCHETTE – Still Looking Good To Me
Thrill Jockey Records
(siehe Kritik hier)
FRANK BLACK AND THE CATHOLICS – Show Me Your Tears
Cooking Vinyl
Die mittelalte Indie-Rock-Legende hat mal wieder ein so ruppiges wie sentimentales Album herausgerotzt, dessen Innovationsgrad sich antiproportional zu seinem Unterhaltungswert verhält – und deswegen oder dennoch deutlich mehr Boppes tritt, als alle „The“-Retro-Bands der letzten Jahre zusammen.
(siehe Kritik hier)
BLUMFELD – Jenseits von Jedem
Wea Records
Polarisierend wie immer legen die Hamburger ihre, nicht nur wegen „Sonntag“, sonnigste Platte vor. Den Umweg übers Hirn kann man sich diesmal oft genug sparen. Es funktioniert auch ohne vertieften Diskurs über Ironie-, Zitat- und Reflektionsbanden.
BLUR – Think Tank
EMI Records
Ein Lehrbeispiel an unkonventionellem Arrangement, das gleichwohl immer songdienlich bleibt. In makellosem Klanggewande promenieren elektronische Beats, Saxophon, gar ein ganzes marokkanisches Ethno-Ensemble, und gesellen sich harmonisch zu Gitarre, Schlagzeug, Keyboards und Bass, ohne jemals besserwisserisch nach Weltmusik oder pubertär nach Crossover zu klingen. Damon Albarn singt dazu locker und zurückgenommen wie selten. Diese Platte sollte sich, schon wegen „Ambulance“ und „Out of Time“, jede ambitionierte Gitarren-Rock-Band direkt neben die letzten vier Radiohead-Werke unters Kopfkissen legen.
DAVID BOWIE – Reality
ISO Records/Sony
Jede Veröffentlichung ein neuer Wurf, wenn auch manches Mal in die vermeintlich falsche Richtung. Bowies kontinuierlicher Schaffensdrang ist nicht zu bremsen. Große Songs wie „New Killer Star“, „Days“ und „Bring Me The Disco King“, aber auch manches Mittelmaß. Man muss sich erst an die unterkühlte Betriebstemperatur und die wenig abgestimmte Songfolge gewöhnen, die etwa den Hau-Ruck-Rocker „Reality“ auf einen kitschigen Schmachtfetzen wie George Harrisons „Try Some, Buy Some“ folgen lässt. Aber keine Angst, auch diese Bowie-Platte werde ich mir noch schön-hören!
CALEXICO – Feast of Wire
Quarterstick Records/City Slang
Ihr mindestens zweitbestes Album nach/neben „The Black Light“, breitwandinstrumentiert, wohlfeil produziert, ohrwurmbefallen. Ein Hörspiel grenzenloser Musikalität zwischen Country, Folklore, Jazz und sonst noch so manchen, aber letztlich immer originell und unverwechselbar nur: Calexico.
EVAN DANDO – Baby I´m Bored
Setana Records/Breath of Salt Water Records
Höchst willkommenes, unscheinbares Comeback des ehemaligen Lemonheads-Kopfes. Das Liedgut ist unspektakulär im besten Sinne. Dando spielt zwar abgeklärt und schnörkellos, singt aber immer warm und nackt und schön und mit ganzem Herzen.
FLAMING LIPS – Yoshimi Battles The Pink Robots
Warner Bros. Records
Perfektioniert das Konzept von „The Soft Bulletin“ und ist um keinen Deut schlechter. Triumph des schrägen Pathos.
GRANDADDY – Sumday
V2 Records
Die bislang popigste und homogenste Veröffentlichung der kalifornischen Feld-, Wald- und Wiesenschrate, die ein unvergleichliches und höchst eingängiges Gemisch aus Punkgitarren, C 64-Gefiepe, LSD, Skateboard und Kuscheltier cremig zusammenrühren.
HOWE HOME – The Listener
Thrill Jockey Records
(siehe Kritik hier)
LOOSE FUR – Loose Fur
Domino Recording
Das Projekt, bei dem die Wilco-Kernbesetzung mit Jim O´Rourke kollaboriert, vereint wie selbstverständlich kühl klirrenden Anspruch mit herzerwärmend schönem Liedgut.
(siehe Bericht hier)
RADIOHEAD – Hail To The Thief
Erstaunlich zugängliche, aber nicht weniger ambitionierte Rückkehr auf „OK Computer“-Pfade. Fast schon langweilig, das gut zu finden. Besser geht’s aber nun wirklich kaum. Und plötzlich relativiert sich auch die Bewunderung für die doch sehr harmlosen Coldplay.
M. WARD – Transfiguration of Vincent
Matador Records
Nach „End of Amnesia“ eine weitere in Melodie- und Einfallsreichtum herausragende und zutiefst beseelte Interpretation der amerikanischen Folk&Country-(…)-Wurzeln, die Matt Ward schüchtern auf Platte geflüstert hat. Wer Lambchop, Neil Young oder auch Sparklehorse schätzt, könnte hier gut aufgehoben sein. Leider wohl zu vielschichtig und verhalten, um erfolgreich zu sein.
GILLIAN WELCH – Soul Journey
Acony Records
Konstante Qualität kann man von Frau Welch und ihrem Partner David Rawlings ja eh erwarten. Schon bislang war ihr Werk makellos, aber vielleicht auch etwas spröde und puristisch. Diesmal haben sie sich aber nicht auf den Klang akustischer Gitarren beschränkt, sondern auch Geige, Orgel und sogar Schlagzeug ins Studio gelassen. Die entspannte Melancholie, die tief im amerikanischen Folk und Country verwurzelt ist, bleibt, auch Welchs beglückender Gesang. Aber der Klang geht nunmehr auch in Richtung Whiskeytown zu „Stranger´s Almanac“-Zeiten und fährt damit wohl mit vom besten ein, was zur Zeit auf dem viel bestellten Americanafeld zu ernten ist.