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The Listener

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Emusic.com - Eldorado für frustrierte Klassikfans?

von Rainer Aschemeier  •  11. August 2006

Musik-Downloads aus dem Internet sind so eine Sache: Der eine mags, der andere nicht. Was aber, wenn aus dem Händler-Programm längst gestrichene CD’s als Download (wieder) auftauchen? Da mag so mancher seine Ressentiments über Bord werfen und mit Begeisterung die Titel laden, hinter denen man seit Jahren her ist.

Einer der produktivsten Sinfoniker des 20. Jh. war Nikolaij Jakowlewitsch Mjaskowskij - Er schrieb nicht weniger als 27 Symphonien und zahlreiche Sinfoniettas.

Für Klassikliebhaber ist das Internet bisher keine allzu große Fundgrube gewesen. Seit einiger Zeit hat sich das geändert: Der amerikanische Anbieter Emusic.com führt in seinem umfangreichen Downloadprogramm sämtliche (!!!) CD’s der Labels Naxos und Marco Polo. Das Wort „sämtliche“ umfasst hierbei auch die längst gestrichenen Titel.

Durch das vor zwei Jahren begonnene „Großreinemachen“ im Hause Naxos/Marco Polo hat sich die Welt geradezu auf den Kopf gestellt. Waren die CD’s der beiden Labels des deutschen CD-Pioniers Klaus Heymann bis vor zwei Jahren noch zum Schleuderpreis von 5-8 Euro über die Ladentheke gegangen, kommt es jetzt zunehmend vor, dass man für seltene Naxos- und Marco Polo-Titel tief in die Tasche greifen muss. Insbesondere in Repertoirenischen, wo Einspielungen Seltenheitswert besitzen, kommen derzeit astronomische Preissprünge ins Rollen.

Klar gemacht werden soll dies anhand zweier Beispiele – der Sinfoniezyklen von Gian Francesco Malipiero und von Nikolaij Mjaskowskij. Die Lage: Von dem wichtigen russischen Sinfoniker Mjaskowskij (Liadow-Schüler, Schostakowitsch-Zeitgenosse, Khatchaturian-Lehrer und anachronistischer Spätromantiker) gibt es nicht weniger als 27 Sinfonien. Das britische Label Olympia Records versuchte – kurz vor der Pleite – den großen Coup mit der ersten Gesamteinspielung aller Sinfonien auf insgesamt 17 CD’s.

Unter Sammlern heißbegehrt - Eine CD des unvollständigen Mjaskowskij-Zyklus vom britischen Olympia-Label.

Leider war der Pleitegeier schneller als die Presswerke: Die erste Mjaskowskij-Gesamteinspielung blieb Stückwerk, brachte es aber immerhin auf 11 von Sammlern heiß begehrte CD’s. Danach kam der Konkurs für das Olympia-Label. Mjaskowskij-Fanatiker hatten jedoch noch die Möglichkeit bei Marco Polo Einspielungen von insgesamt 7 Sinfonien zum Budgetpreis zu ergattern (und das in z. T. hochkarätigen Einspielungen – z. B. BBC Philharmonic Orchestra unter Sir Edward Downes oder die legendären CD’s mit dem Slowakischen Radiosinfonieorchester unter Robert Stankowsky).

Nach der großen Säuberung im Lagerbestand von Marco Polo Deutschland gab es in punkto Mjaskowskij plötzlich die große Flaute am Markt; viele Sammler, wenige CD’s. Die Folge: der Preis steigt. Bei grandiosen Einspielungen, wie z. B. der fünften Symphonie unter Sir Edward Downes oder der achten Symphonie unter Robert Stankowsky erreichen die Preise auf dem Gebrauchtmarkt mittlerweile die 50 Euro-Schwelle; und das für CD’s, die noch kurz zuvor für 5 Euro neu im Laden erhältlich waren. Das kann man schon beinahe als Wertanlage bezeichnen.

Der andere Extremfall sind die Sinfonien von Gian Francesco Malipiero. Die Marco Polo Gesamtedition des Moskauer Sinfonieorchesters unter dem Dirigat des renommierten Franzosen Antonio de Almeida kann subjektiv gesehen nur als Verbrechen an der Menschheit gewertet werden. Damit wir uns nicht missverstehen: So hervorragende Einspielungen de Almeida in punkto Rodrigo, Offenbach und Enescu vorgelegt hat, so unterirdisch furchtbar sind die Leistungen des Moskauer Sinfonieorchesters beim Malipiero-Zyklus.

Benito Mussolini mischte sich - ähnlich wie Hitler, Stalin oder später Franco - aktiv in die Kulturpolitik seines Landes ein.

Malipiero, der oft unanständig oberflächlich als „italienischer Strawinsky“ tituliert wird, ist aber aus musikhistorischer Hinsicht eine höchst interessante Persönlichkeit. Zu seinen Lebzeiten zählte er zusammen mit Alfredo Casella zur europäischen Speerspitze der neuen Musik, wurde in einem Atemzug mit Namen wie Bela Bartok, Igor Strawinsky, Paul Hindemith oder Maurice Ravel genannt. Malipiero entwickelte jedoch, ebenso wie Casella, eine nationalistisch angehauchte Kulturästhetik im Fahrwasser des von Prokoffjew und Strawinsky begründeten Neoklassizismus. Das Mussolini-Regime war zwar vom „Bürgerschreck“ Malipiero nicht unbedingt begeistert, tolerierte jedoch seine Musikästhetik, die sich z. T. an antiken Stilvorbildern orientierte. Nach dem Krieg waren sein Name und seine Musik aufgrund seiner z. T. ungewollten Verstrickungen in die nationalsozialistische Kulturpolitik plötzlich „tabu“. Aus heutiger Sicht erscheint das möglicherweise verständlich, jedoch vollkommen übertrieben: Malipiero gehört nachweislich zu den bedeutendsten Sinfonikern – oder eigentlich müsste man sagen Anti-Sinfonikern – des 20. Jahrhunderts. In insgesamt 11 nummerierten und einigen nicht nummerierten sog. „Sinfonias“ suchte er den offenen Disput mit der Tradition, missachtete offen die ehernen Gesetze der sinfonischen Gattung und schuf auf diese Weise herrlich anarchistisch anmutende Klangwelten, die ungeachtet jeglicher politischer Verwirrtheit des Urhebers mittlerweile als veritable Meisterwerke anerkannt sind.

Mittlerweile auch ein Sammlerstück, für das man in den richtigen Kreisen viel Geld bezahlen muss: Malipieros siebte Symphonie auf dem Marco Polo-Label

Wie gesagt, Marco Polo veröffentlichte in den 1990ern einen kompletten Zyklus der Symphonien als Weltersteinspielung. Bis heute ist dies die einzige Gesamteinspielung geblieben. Die meisten Symphonien gibt es überhaupt nur in dieser – leider interpretatorisch völlig verkorksten – Edition. Die Sammler schlugen Alarm, als Ende 2004 die ersten der insgesamt 5 CD’s der Reihe in den Ausverkauf kamen. Mittlerweile muss man insbesondere für die ersten beiden Symphonien Preise von bis zu 60 Euro in Kauf nehmen.

Zurück zum Thema Emusic.com. Bei dem genannten Downloadportal gibt es sämtliche der genannten Kostbarkeiten zum wirklich günstigen Downloadpreis. Das Motto: Im Voraus zahlen für eine Gesamtmenge von z. B. 25 Downloads im Monat. Das macht nach der derzeitigen Emusic-Preisliste gerade einmal 12,95€. Eine Sinfonie hat in der Regel vier bis fünf Sätze, also vier bis fünf Downloads. Glückliche „Mjaskowkijaner“ wissen: Der Meister schrieb oft durchgängige Werke mit nur einem Satz. Kurz und Gut: Für den Preis von nur einem Download (anteilig bei o. a. Kostenbeispiel also ca. 0,50€) bekommt der geneigte Hörer z. B. Mjaskowskijs zehnte Symphonie. Im Vergleich zu den ca. 15 bis 30€, die man für die CD unter Sammlern berappen müsste, juckt da schon der Finger auf der Maus.

Die Abrechnung bei Emusic.com funktioniert zuverlässig und einwandfrei per Kreditkarte. Kostenlose 25 Downloads als Testangebot versüßen die Versuchung es doch einfach einmal auszuprobieren. Das Angebot ist zu jedem Monatsende grundlos und unkompliziert kündbar. Kurz und gut: Tolle Sache.

Emusic.com hat an interessanten Downloads auch noch mehr im Angebot: Die „LSO Live“-Serie des London Symphony Orchestra z. B. und auch das Äquivalent dazu vom Concertgebouw Orchester aus Amsterdam. Für Pop-Fans ist Emusic ein Indielabel-Eldorado, Majorlabel-Releases findet man hier aber nicht. Kurioserweise konnte ich im Angebot des Downloaddienstes sogar einige Hannes Wader-CD’s entdecken. Also lohnt ein Ausflug außerhalb des Klassiksektors in jedem Fall.

Zu seiner Zeit der bekannteste Komponist Europas, heute selbst im Heimatland fast vergessen: Louis Spohr.

Für wahre Klassik-Afficionados dürfte die reduzierte Klangqualität der mit 128 kb codierten angebotenen mp3-Dateien letztlich das größte Hindernis auf dem Weg zum Klick darstellen. Andererseits ist die Qualität aller Downloads durchgängig gut, wenngleich vielleicht nicht ganz so dynamisch wie beim Original. Und wer nur mal „neugierig“ ist, wie die musikalische Welt von Exoten wie Mjaskowskij, Malipiero, Tanejew, Bantock, Pavlova, Goldmark, Spohr oder Ljatoschinskij klingt, der kann bei Emusic.com unbesorgt ein Ohr riskieren.

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