UNDER BYEN in Hamburg: Sounds of SilenceLive im Deutschen Schauspielhaus am 11. Oktober 2003von Frank Castenholz • 2. November 2003
Man kann wohl kaum sagen, dass die aus Aarhus stammenden Under Byen hierzulande eine bekannte Größe sind. Zwar war ihr Auftritt im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses, einer intimen Studiobühne mit Sitzplätzen, nicht ihr erstes Gastspiel in der Hansestadt. In Dänemark haben sie bereits zwei Platten veröffentlicht (die aktuelle CD aus dem Jahr 2002 heißt “Det er mig, der holder træerne sammen“). Da es bislang aber an internationalen Veröffentlichungen mangelt, sind sie südlich der dänischen Grenze noch ein echter Geheimtipp (der immerhin schon im Rolling Stone lobende Erwähnung fand). Ein wenig überregionale Aufmerksamkeit konnten Under Byen indes mit ihrem Gastspiel auf Howe Gelbs wunderbarer 2003er LP „The Listener“ erhaschen. Während sie auf diesen Aufnahmen jedoch gediegen-zurückgelehnten Barjazzbackground für Gelbs melancholische LoFi-Studien lieferten, schwebt ihr eigener Sound in gänzlich anderen Sphären. Will man die Stimme von Henriette Sennenvaldt einem Unkundigen beschreiben, kommt man um die Nennung von versponnenen Referenzgrößen wie Björk, Kristin Hersh, Tori Amos (in ihren entrückteren Momenten) und Kate Bush (im Stimmbruch) nicht herum. Weniger Gesang denn Raunen, Hauchen, Jauchzen. Und ihre Gesamterscheinung passte stimmig zur Stimme: In ein leichtes Sommerkleid gehüllt, von verhuschter Schüchternheit, mit eigenwilligen Tanzeinlagen wirkte Henriette so, als warte sie darauf, nach dem Auftritt wieder an einen sicheren Ort gebracht zu werden, eine abgelegene Blumenwiese etwa oder eine umzäunte Waldlichtung. Ihr Gesang wurde derweil von Keyboards (Thorbjørn Krogshede), Violine, singender Säge (beides Nils Grøndahl) und Cello (Myrtha Wolf) umhegt. Ein E-Bass (Sara Saxild) und zwei Perkussionssets (Morten Larsen am klassischen Schlagzeug und Anders Stochholm – auch bisweilen am Akkordeon – mit individuellem „Industrial“-Blechtonnen-Einschlag) unterlegten die Melodien und Harmonien mit einem diffizilen Rhythmusfeld, das oftmals an eine organische Ausgabe elektronischer Beatschlaufen erinnerte. Nach nur 75 Minuten verabschiedeten sich Under Byen mit einer letzen überraschenden Zugabe – der alten Ode an den Massenmörder Friedrich Haarmann „Warte, warte nur ein Weilchen“ (… Bald kommt Haarmann auch zu dir/ Mit dem kleinen Hackebeilchen/ Und macht er Leberwurst aus dir“). Spätestens jetzt hatten die Dänen Hamburg ganz auf ihrer Seite; und für diesen einen Moment fand tatsächlich auch eine verbale Kommunikation, ja fast schon Entertainment statt. Der Funke sprang über und das emotional unbestimmte Wohlgefallen an ihren Songs, bei denen die Stimme lediglich als weiteres Instrument, die Texte lediglich als Lautmalerei wahrgenommen werden konnten, wich für einen einzigartigen Augenblick dem gemeinsamen Spaß an dem morbiden Text und der schmissigen Chansonmelodie. Stürmisch beglückter, lang anhaltender Applaus konnte die Musiker jedoch nicht dazu bewegen, noch mal vor den Vorhang zu treten. Und als dann die letzten Klatscher im Saal verhallt waren, die Musik vom Band wieder die Lufthoheit beanspruchte und die unbarmherzige Deckenbeleuchtung Aufbruchsstimmung suggerierte, war mir fast, als bewegte sich das Publikum in merkwürdig versponnenem Tänzeln gen Ausgang, ab und zu ungelenk die Beine hebend, um nicht über eine Blume (oder eine Leberwurst) zu stolpern … |
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