Earle Brown's Contemporary Sound SeriesDas Mainzer Label WERGO schließt ein einzigartiges editorisches Mammutprojekt abvon Rainer Aschemeier • 24. März 2012
Pünktlich zum Firmenjubiläum ist ein Mammutprojekt fertig geworden, an dem WERGO mehrere Jahre gearbeitet hat: Es handelt sich um die Gesamtausgabe der „Contemporary Sound Series“, einer spektakulären CD-Edition, die auf 18 unter Sammlern legendären LPs beruht, die der New Yorker Komponist, Pianist und Tonmeister Earle Brown (weitere Infos zu Brown s. u. a. hier) in den Jahren zwischen 1960 und 1978 aufgelegt hatte. Trotz viel Typografie: Ein wunderschönes Cover dieser Veröffentlichung von 1973 und zugleich eine der spannendsten CDs in der Reihe. Sie umfasst einen exemplarischen Überblick über die Werke der „Neuen Musik“ in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, auch mit gelegentlichem Blick in die Zeit der frühen Moderne auf Werke von zum Beispiel Charles Ives. Ansonsten finden sich tatsächlich alle großen Namen der Zeit, und das durchaus weltumspannend: Stockhausen, Maderna, Messiaen, Boulez, Cage, Wolff, Yun, Berio, Wuorinen, Kelemen, Xenakis, Scelsi, Nono, Feldman, Maxwell Davies, Harrison, Cowell, Kagel, nicht zuletzt Earle Browns eigene Werke und eine beeindruckende Anzahl von Namen, die heute schon kaum noch jemand kennt – ...die zu ihrer Zeit aber als aufkeimende Größen der Musikmoderne betrachtet wurden. Sehr aufschlussreich! Die 18 CDs umfassende Edition (jede CD spiegelt originalgetreu das Programm einer damaligen LP wider) ist ein einmaliges Zeitdokument, das nicht nur einen geradezu optimalst möglichen Einstieg für Neue-Musik-Neugierige bietet, sondern in seiner Art der Zusammenstellung und designverdächtigen optischen Aufmachung (die WERGO sei Dank weitestgehend auf damaligem Stand rekonstruiert wurde) einfach einen fantastischen Blick zurück in die Zeit repräsentiert. Earle Brown höchstselbst zeichnete damals verantwortlich für die Auswahl der vorgestellten Komponisten, der ausübenden Interpreten und (zum Teil) auch für den in den meisten Fällen großartigen Klang der Aufnahmen. Letzterer wurde unter großem Aufwand direkt von den damaligen LPs abgenommen und für CD aufbereitet. Leider standen offenbar keine Masterbänder mehr zur Verfügung, sonst wäre das auch so schon sehr beeindruckende Endergebnis wohl noch etwas besser ausgefallen. So jedoch gibt es schon die eine oder andere CD in der Reihe, bei der man den Eindruck hat, dass das Remastering zwar großartig ausgeführt wurde, die technologisch aber vorhandenen Nachteile der LP ihr Übriges getan haben, um das Vorhaben manchmal zum Problem werden zu lassen. Ein Paradebeispiel für einen solchen Balanceakt ist zum Beispiel die CD „New Music for Violin and Piano“ aus der jüngst erschienenen sechsten Kassette der Gesamtedition: Der legendäre Geiger Paul Zukofsky ist darauf mit großartigen Werken zu hören (unter anderem mit einem hochinteressanten Frühwerk von Cage), doch leider ist (zumindest per Kopfhörer) auch hörbar, dass die Rauschunterdrückung doch ganz schön heftig ins Gewicht fällt bei diesem Remastering, das offenbar eine völlig „verknackste“ Langspielplatte als Vorlage hatte.Andere CDs der Edition präsentieren sich hingegen als makellose Beispiele dafür, wie hochklassig schon in den 1960er-Jahren HiFi-Sound aufgezeichnet wurde. Aber Beispiele dieser Art hatten wir ja schon öfters, zum Beispiel hier. WERGO kann nur tausendfach gedankt werden, dass sie diese großartige Edition anhand von sechs CD-Boxen á jeweils 3 CDs aus der Gruft der LP-Archive gerettet haben und wieder in das Licht der Öffentlichkeit zurückgebracht haben. Wer sich für Neue Musik interessiert und diese Edition verpasst, verpasst auch viele „Aha-Momente“. So bietet diese Ausgabe nicht nur einen grandiosen Überblick über die Interpretation Neuer Musik unmittelbar zum Zeitpunkt ihrer Entstehung (oder kurz danach), sondern sie zeigt auch ganz amüsanterweise auf, was für eine Art „Typ“ diese Leute waren, die in den 60er- und 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts Neue Musik auf die Bühnen brachten. Eines der Cover aus Kassette 6 der "Contemporary Sound Series": Grafische Beschränkung auf das Allernotwendigste zeichnete dieses Originalcover aus dem Jahr 1962 aus. Es waren mitnichten die krawattierten und gestylten Herren, die wir heute im Sinn haben, wenn wir Namen wie Maxwell Davies, Berio oder Kagel hören. Nein, die Komponisten und Interpreten der damaligen Zeit waren echte „Beatniks“: Total verrückte, abgedrehte, wagemutige und sicher auch zum Teil ungepflegte und verkiffte Subjekte einer anderen Form von Subkultur. Kurz: Es waren ebensolche Rebellen, wie es zu der Zeit Jimi Hendrix, Led Zeppelin oder The Beatles waren. Noch heute wären die ziemlich durchgeknallten Booklet-Fotos der Aufnahmesitzung mit Paul Zukofsky aus der hier besprochenen „Contemporary Sound Series“ wohl ebenso postertauglich, wie es seinerzeit zum Beispiel Enfants terribles wie Frank Zappa oder Bob Dylan waren. |
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