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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Jenseits von gut und böse: Nazisploitation

"Salon Kitty" und "Ilsa": Zwei Fallstudien

von Frank Castenholz  •  31. Oktober 2009

Der gestrige Abend der Cinematek, des königlich belgischen Filmmuseums, war einem Thema gewidmet, das in deutschen (zumal staatlich geförderten) Kinos vermutlich keinen Platz hätte: Nazisploitation. Die Rede ist von einem obskuren Sub-Genre der Exploitation, also von Filmen, die in der Regel mit geringem Budget und Zeitauwand produziert wurden und primär darauf zielten, den Zuschauer durch rohe Darstellung von Gewalt, Motoren, Frauenknästen, nackten Nonnen und sonstigen Primärreizen bei Laune zu halten. Indem Nazisploitation Szenerien und Schauplätze aus dem III. Reich und Zweiten Weltkrieg in den Dienst reißerischer Inszenierungen stellt, die vornehmlich die Erwartung des Publikums auf Spannung, Schock, Komik oder Erotik befriedigen sollen, reiht sie sich im Grunde nahtlos in die Riege anderer süffiger Unterkategorien des „Ausbeutungsfilms“ wie Blaxploitation, Sexploitation oder Nunsploitation ein, ist allerdings aufgrund der politisch-historischen Dimension des Sujets weitaus heikler.

Inwiefern Exploitation nun neben schlichtem, mehr oder weniger gelungenen und geschmackvollen Entertainment auch Kunst im engeren oder höheren Sinne abwerfen kann, hängt nicht zuletzt von den Ambitionen und Fertigkeiten des jeweiligen Regisseurs ab. Quentin Tarantino hat durch seine eigenen Arbeiten, die mittels Zitaten, umgewidmeten Motiven und Neuinterprationen (aus „Foxy Brown“ wird „Jackie Brown“) reichlich aus dem Fundus der amerikanischen und fernöstlichen Exploitationfilme der 60er und 70er Jahre schöpfen, aber auch durch seinen Einsatz für die Wiederentdeckung diverser Genre-Klassiker viel für eine differenziertere Betrachtung dieser sog. B-Movies geleistet und gezeigt, dass die Grenzen zwischen vermeintlichem Schund und Hochkultur oft fließend sind – zuletzt mit seinem viel diskutierten Meisterwerk „Inglorious Basterds“, den man sehr verkürzt wohl als „Nazisploitation Deluxe“ bezeichnen könnte.

Das „double feature“ in der Cinematek zeigte erneut eindrucksvoll, wie weit auseinander das Niveau von Produktionen liegen kann, die in einer Genre-Schublade nah beieinander lagern.

Ilsa, She Wolf of the SS (Don Edmonds, Canada, 1974)

Eine detailierte Zusammenfassung des kruden Plots erspare ich uns. Man stelle sich einen Streifen vor, der die schmierigsten Zutaten des Women in Prison-Genres mit scharfen Uniformen, lesbischen Akten, Sadomasochismus, extremer Gewaltdarstellung (die Pasolinis „Salò“ nicht viel schuldig bleibt) und einigen satirischen Elementen mit einem bizarren Nazi-Fetisch (inklusive NS-Propagandaschlager und allerlei Germanismen) anreichert und in ein „Medical Camp“ verlagert. Dass das Werk im Vorspann den Opfern des Holocaust gewidmet ist, setzt dem ganzen die Krone auf. Einen zynischeren Schmutz habe ich bislang noch nicht auf der Leinwand gesehen. Allerdings in Konsequenz und „Liebe zum Detail“ verblüffend gut gemacht und, offen gesagt, für Freunde und Erkunder des Exploitation-Genres zumindest zu Studienzwecken unverzichtbar. Ein Meilenstein, sozusagen.

Salon Kitty (Tinto Brass, Italien/Frankrreich/BRD, 1975)

Der, nicht nur ästhetische, Gegenentwurf zum Vorfilm. Die Berliner Puffmutter Kitty wird von den Nazi dazu gezwungen, ihr Bordell mit parteihörigen strammen Mädels zu betreiben, die als Undercover-Agentinen für die SS ihre hochrangigen Kunden aus Militär und Partei bespitzeln. Brass gelingt es, trotz viel nackter Haut, den (zum Teil etwas langatmigen) Erzählfluss, der offenbar auf wahren Begebenheiten fußt, nie den Schauwerten unterzuordnen, die Charaktere bleiben menschlich, ihre Geschicke tragisch. Die oft weichgezeichneten Bildern sind von erlesener Optik, die Milieustudien opulent, hinter der Kamera könnte man, wüsste man an es nicht besser, auch einen Michael Ballhaus vermuten. Auch wenn die Story nicht mal sonderlich packend ist, komponiert Brass immer wieder Szenen, die ihn in ihrer Orginalität und eleganten Kraft als talentierten und inspirierten Regisseur ausweisen. Teresa Ann Savoy, die die zunächst ideologisch verblendete, dann geläuterte Prostituierte Marherita spielt, ist eine Augenweide. Das gilt auch für Helmut Berger als selbstverliebter, zwischen Zartheit und Brutalität schwankender, dämonisch verführender, zunehmend größenwahnsinniger Offizier Helmut Wallenberg, nicht nur wenn er sich vorm Spiegel in wechselnde Fantasie-Uniformen hüllt, die antiquierten Superhelden-Kostümen oder Utensilien aus dem Deluxe-Sexshop ähneln. Es ist allerdings seinem Vorgesetzten (John Steiner) vorbehalten, die brillanteste Szene des Films zu spielen, als ihm der Verrat von Wallenberg berichtet wird und er ihn kommentarlos zum Abschuss freigibt. Bevor man Christoph Waltz als Hans Landa in „Inglorious Basterds“ als schillerndsten SS-Offizier der Filmgeschichte preist, sollte man „Salon Kitty“ zumindest mal gesehen haben.

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